Vor dem Hintergrund der vielfältigen Einbindung des Endocannabinoid-Systems in relevante physiologische Prozesse stellt dessen Beeinflussung mittels medizinischem Cannabis eine neurobiologisch interessante therapeutische Option dar. Dennoch gibt es neben der Hauptindikation Schmerz weiterhin eine Evidenzlücke hinsichtlich des klinischen Nutzens für neuropsychiatrische Krankheitsbilder. Als Leiter der Arbeitsgruppe für „medizinisches Cannabis“ wird Oliver Pogarell Rationale und Datenlage zum Einsatz dieser Therapieform bei psychischen Erkrankungen erläutern. Symptome im Grenzgebiet zwischen Neurologie und Psychiatrie scheinen durch medizinisches Cannabis ebenfalls günstig beeinflussbar zu sein. Diesbezüglich wird Daniel Huys über den Nutzen von Cannabis bei Tic-Erkrankungen und dem Tourette-Syndrom und Alzheimer-bedingter Unruhe berichten. Hinsichtlich der alltäglichen Verordnungssituation gibt es für Cannabispräparate seit 2017 einen Sonderweg, der jüngst leichtgradig modifiziert wurde. Teil dieses „Sonderwegs“ war eine Begleiterhebung, über deren Auswertung und Interpretation Peter Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle, berichten wird. Eine Besonderheit beim medizinischen Cannabis ist auch die häufig berichtete positive Patienten-Akzeptanz, die womöglich im Kontrast zu synthetischen Psychopharmaka steht. Diesbezüglich wird Dana Krämer interessante Ergebnisse aus einer eigenen monozentrischen Datenerfassung berichten.
14:14 Uhr
Medizinisches Cannabis – Analyse der nationalen Begleiterhebung
P. Cremer-Schaeffer (Bonn, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
P. Cremer-Schaeffer (Bonn, DE)
Entsprechend gesetzlicher Vorgaben hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zwischen April 2017 und März 2022 eine nicht-interventionelle Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durchgeführt. Die Erhebung umfasste Cannabisblüten, Cannabisextrakte, Dronabinol, Nabilon (ggf. als Fertigarzneimittel Canemes®) und Sativex®. 16.809 vollständige Datensätze wurden in die Auswertung einbezogen.
Mit Cannabisarzneimitteln behandelte Patientinnen und Patienten waren im Durchschnitt 57 Jahre alt, in gut 54% der Fälle weiblich. In mehr als drei Viertel aller Fälle (76,4%) wurden Cannabisarzneimittel zur Behandlung chronischer Schmerzen angewendet. Weitere häufig behandelte Symptome waren Spastik (9,6%), Anorexie/Wasting (5,1%) und Übelkeit/Erbrechen (2,2%). Die häufigsten Verordnungen von Cannabisarzneimitteln wurden von Ärztinnen und Ärzten der Fachrichtung Anästhesiologie vorgenommen, gefolgt von denen der hausärztlichen Versorgung und der Neurologie. Bei den in der Begleiterhebung übermittelten Fällen wird am häufigsten Dronabinol (62,2%) als Cannabisarzneimittel verordnet, gefolgt von Blüten (16,5%), Extrakten (13%) und Sativex® (8%). Die mittlere Tagesdosis an THC, dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, liegt bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Sativex® bei etwa 15mg. Bei den Cannabisblüten liegt die mittlere Tagesdosis jedoch bei 249mg. In nahezu 75% der Fälle wurde durch die Anwendung von Cannabisarzneimitteln eine Besserung der Symptomatik erreicht. Nebenwirkungen waren häufig, aber in der Regel nicht schwerwiegend. Müdigkeit und Schwindel traten sehr häufig auf. In einem Drittel der Fälle wurde die Therapie vor Ablauf eines Jahres abgebrochen, hauptsächlich aufgrund fehlender Wirkung (38,5%). In 70% der Fälle wurde eine Besserung der Lebensqualität berichtet. Mit Cannabisblüten behandelte Patientinnen und Patienten sind vergleichsweise jung und bewerten den Therapieerfolg grundsätzlich höher.
14:36 Uhr
Patientenakzeptanz von medizinischem Cannabis – Erfahrungen aus der psychiatrischen Versorgung
D. Krämer (Oberhausen, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
D. Krämer (Oberhausen, DE)
Patientenakzeptanz von medizinischem Cannabis – Erfahrungen aus der psychiatrischen Versorgung
Seit 2017 ist es möglich Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen unter bestimmten Bedingungen mit medizinischem Cannabis zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu behandeln. Nicht nur die geforderte nationale Begleiterhebung dokumentierte eine sehr große Anwendungshäufigkeit von medizinischem Cannabis, was dafürsprechen könnte, dass sowohl von Patienten als auch von Verordnerseite dem Präparat ein großer potenzieller Nutzen zugeschrieben wird. Auf einer anderen Ebene, nämlich im Zuge der Legalisierungsdebatte schien zusätzlich ein gewisser „Lobbyismus“ für Cannabis deutlich zu werden.
Unter der Hypothese einer generell hohen Akzeptanz von medizinischem Cannabis erfolgte eine Erhebung des Interesses von Patienten mit psychischen Störungen an einer Therapie mit medizinischem Cannabis. Wünsche und Hoffnungen (bzgl. Der Wirkeffekte), aber auch Ängste bezüglich einer hypothetischen Erweiterung ihrer Therapie um medizinisches Cannabis wurden ebenfalls erfasst. In dem geplanten Symposiumsbeitrag werden erste diesbezügliche Daten vorgestellt.