Ein zentraler Aspekt von Substanzkonsumstörungen besteht darin, dass es Betroffenen nicht gelingt, (automatisierte) appetitive Prozesse zu inhibieren und so den Substanzkonsum zu kontrollieren. Entsprechend nimmt das Ungleichgewicht zwischen zu starken appetitive Prozessen und einer mangelnden inhibitorischen Kontrolle eine zentrale Rolle in psychologischen und neurowissenschaftlichen Suchtmodellen ein. Einem translationalen Ansatz folgend wurden in jüngster Zeit Trainingsverfahren entwickelt, welche zum Ziel haben, die exekutive Kontrolle von Patientinnen und Patienten im Suchtkontext zu verbessern.
Im Symposium werden einerseits aktuelle Befunde zur neurobiologischen Grundlage von (substanz-spezifischer) Inhibition bei Suchterkrankungen präsentiert, wobei ein Fokus auf Befunden liegt, welche einen Zusammenhang mit dem Rückfallgeschehen und dem Therapieerfolg zeigen. Andererseits wird reflektiert, inwiefern das Vorliegen einer ausgeprägten Impulsivitätsproblematik, wie sie beispielsweise im Kontext komorbider ADHS-Erkrankungen besteht, den Therapieverlauf von Subtanzkonsumstörungen beeinflussen kann. Schließlich wird anhand von zwei Beispielen – einem alkohol-spezifischen Inhibitionstraining und einem schach-basierten kognitiven Remediationstraining – darauf eingegangen, inwiefern solche Trainingsverfahren als Zusatzmodule den Therapieerfolg bei Substanzkonsumstörungen verbessern können und welche Wirkmechanismen dabei wichtig sind.
17:15 Uhr
Die Neurophysiologie alkoholspezifischer Inhibition bei Alkoholkonsumstörungen: Zusammenhang mit Craving und Rückfall sowie Modifizierbarkeit durch Inhibitionstraining
M. Stein (Bern, CH)
Details anzeigen
Autor:in:
M. Stein (Bern, CH)
Patient:innen mit Alkoholkonsumstörungen zeichnen sich unter anderem durch Defizite im Bereich der inhibitorischen Kontrollprozesse aus. Untersuchungen mittels alkohol-spezifischer Inhibitionsaufgaben (Go-NoGo-Tasks) legen nahe, dass diese Defizite noch ausgeprägter sind, wenn die Inhibition im Kontext von alkohol-bezogenen Reizen stattfinden soll. Neurophysiologische Studien, welche funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder evozierte Potentiale (EP) im EEG messen, zeigen, dass die mit der Inhibitionsleistung verbundene neuronale Aktivität in den alkohol-bezogenen Kontexten typischerweise erhöht ist. Dieser Effekt ist einerseits bei Patient:innen mit ausgeprägtem Craving stärker und andererseits prognostisch für Rückfälligkeit und Trinkverhalten in den folgenden 3 Monaten. Es scheint jedoch möglich, einen Teil dieser Effekte durch ein ausreichend schwieriges, alkohol-spezifisches Inhibitionstraining zu modifizieren: Jüngste Analysen einer doppelblinden, randomisiert-kontrollierten Studie, welche die EP vor und nach dem Training verglichen, zeigen, dass ein solches Training in der Lage ist, die P3-Komponente des alkohol-spezifischen NoGo-EPs so zu verändern, dass sie sich nach dem Training nicht mehr von der des neutralen NoGo-EPs unterschied.
17:59 Uhr
Auswirkungen von schachbasiertem kognitivem Remediationstraining auf inhibitorische Kontrolle und den Behandlungserfolg bei Alkohol- und Tabakkonsumstörungen
S. Vollstädt-Klein (Mannheim, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
S. Vollstädt-Klein (Mannheim, DE)
Hintergrund
Zentrale Aspekte der Tabakkonsumstörung (TUD) sind unwiderstehliches Rauchverlangen und anhaltender Konsum trotz des Wissens um schädliche Folgen. Das triadische neurokognitive Modell von Suchterkrankungen erklärt diese "geschwächte Willenskraft" durch ein Ungleichgewicht zwischen dem impulsiven System und dem reflektiven System. Ein Ansatz, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, ist die Stärkung des reflektiven System, beispielsweise durch kognitive Remediationstherapie.
Methode
In einer laufenden randomisierten Studie wurden bisher 32 RaucherInnen mit TUD untersucht (44 ± 12 Jahre alt, darunter 15 Frauen). Alle TeilnehmerInnen nahmen an einem sechswöchigen Raucherentwöhnungsprogramm (Standard Smoking Cessation Program, SCP) teil. Die Experimentalgruppe erhielt außerdem begleitend eine schachbasierte kognitive Remediationstherapie (chess-based cognitive remediation treatment, CB-CRT). Die Probanden wurden im functional Magnetic Resonance Imaging mit einer Stopp-Signal-Aufgabe untersucht.
Ergebnisse
Bzgl. der neuronalen Aktivierung zeigte sich kein signifikanter Interaktionseffekt zwischen den beiden Therapiegruppen im Zeitverlauf. Jedoch sagte die Hirnaktivierung nach der Therapie im Hippokampus und im Precuneus in der Gesamtgruppe den Therapieerfolg vorher (negative Korrelation von Hirnaktivierung und Anteil abstinenter Tage nach drei Monaten). Bei der Stopp-Signal-Reaktionszeit sowie bei Craving und Rückfall gab es ebenfalls keine Interaktion zwischen Therapiegruppe und Zeit. Im Trend zeigte die CB-CRT-Gruppe jedoch mehr Abstinenztage und weniger Craving drei Monate nach der Behandlung als die SCP-Gruppe.
Interpretation
Die vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass durch schachbasiertes kognitives Remediationstraining der Behandlungserfolg positiv beeinflusst werden könnte. Ob dies durch eine gestärkte inhibitorische Kontrolle während der Behandlung vermittelt wird, wird bis zur Konferenz in der finalen Stichprobe untersucht werden.
18:21 Uhr
Alkoholspezifisches Inhibitionstraining bei Alkoholkonsumstörungen: Effektivität und Wirkmechanismen
F. Moggi (Bern, CH)
Details anzeigen
Autor:innen:
F. Moggi (Bern, CH)
L. Soravia (CH)
M. Stein (CH)
In dieser multizentrischen, doppelblinden randomisiert-kontrollierten Studie wurden erstmalig an einer klinischen Stichprobe von Patient*innen mit Alkoholkonsumstörungen (AUD) die Wirkung zweier Versionen eines alkoholspezifischen Inhibitionstrainings (Alc-IT) auf das Trinkverhalten drei Monate nach Austritt aus einer stationären Behandlung untersucht. Zusätzlich wurden zwei mögliche Wirkmechanismen (Alkohol De-Evaluation vs. Reaktionsinhibition) evaluiert.
Es nahmen 242 entgiftete, seit kurzem abstinente Patient*innen mit schwerer AUD (18-60 Jahre alt; 30% weiblich) teil. Die beiden Interventionen waren ein Standard Alc-IT (n=84) oder ein intensives Alc-IT (n=79), deren Wirkungen auf das Trinkverhalten mit einem unspezifischen Inhibitionstraining (n=79) verglichen wurden. Die drei Trainings bestanden aus sechs Sitzungen mit einer Go/NoGo-Inhibitionsaufgabe als Reaktion auf alkoholbezogene und auf neutrale Bilder. Beide Alc-IT Versionen erforderten Inhibition bei alkoholbezogenen Durchgängen, aber sie unterschieden sich im Go/NoGo-Verhältnis (standard 50/50; intensiv 75/25), sodass das intensive Alc-IT höhere kognitive Anforderungen stellte. In der Kontrollbedingung wurden in den Go- und NoGo-Versuchen Alkoholbilder gezeigt. Primäre Endpunkte waren die Anzahl abstinenter Tage und schwerer Trinktage (Time-Line-Follow-Back-Methode).
Die Gruppe mit dem intensiven Alc-IT wies einen signifikant höheren Prozentsatz von Abstinenztagen (85.8%) verglichen mit der Kontrollgruppe (74.3%) und der Standard-Alc-IT (71%) Gruppe auf, die sich von der Kontrollgruppe nicht unterschied. Keine Unterschiede zeigten sich in den schweren Trinktagen.
Das intensive Alc-IT mit hohen kognitiven Anforderungen erhöhte die Anzahl Abstinenztage drei Monate nach stationärer Behandlung bei Patient*innen mit schwerer Alkoholabhängigkeit. Dieses Inhibitionstraining übertraf die Standardversion, was auf einen inhibitionssteigernden, nicht auf einen Alkohol de-evaluierenden Wirkmechanismus hinweist.