Patienten mit anhaltend aggressivem Verhalten zeigen eine hohe Prävalenz von Polypsychopharmakotherapie und Hochdosistherapie – trotz begrenzter Evidenz und erhöhtem Risiko für Interaktionen und unerwünschte Wirkungen. Dies betrifft nicht zuletzt Patienten mit einer gewalttätigen Vorgeschichte, welche sich im Maßregelvollzug befinden. Welche zusätzlichen Herausforderungen bringt die Pharmakotherapie straffällig gewordener Patienten mit sich? Hier zeigt eine aktuelle Studie der Referenten, dass Verschreibungspraktiken sich primär nicht an Psychopathologie orientieren. Eine direkte Anwendbarkeit von Forschungsergebnissen aus der Allgemeinpsychiatrie auf den forensisch-psychiatrischen Bereich ist kaum gegeben: Hier spielen nicht nur die höheren Komorbiditätsraten, sondern auch der gerichtlich angeordnete und damit meist unfreiwillige Behandlungskontext eine Rolle. Gleichzeitig sind kontrollierte Medikamentenstudien in forensisch-psychiatrischen Populationen aufgrund diverser Limitationen in der Durchführbarkeit rar. Entsprechend lückenhaft ist der Wissensstand. Zum Abschluss des Symposiums wird mit einer aktuell an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich laufenden Mirror-Image-Studie eine Möglichkeit zur Untersuchung der Wirkung antipsychotischer Präparate erläutert.
17:37 Uhr
High risk, high dose? Verschreibungspraktiken der Allgemein- und Forensischen Psychiatrie im Vergleich
J. Kirchebner (Zürich, CH)
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Autor:in:
J. Kirchebner (Zürich, CH)
Vergleiche zwischen der Akut- bzw. Allgemeinpsychiatrie und der forensischen Psychiatrie zeigen, dass in der forensischen Psychiatrie häufiger eine antipsychotische Polypharmazie und/oder eine hochdosierte Pharmakotherapie eingesetzt wird,
einschließlich Hochdosisverschreibungen. Es gibt jedoch nur wenige Forschungsarbeiten speziell zu Straftäterpatient:innen mit Schizophrenie-Spektrum-Störungen (SSD), obwohl diese einen großen Anteil der Population im Massregelvollzug ausmachen. Dieser Vortrag beschreibt die Ergebnisse einer Studie, die Verschreibungsmuster bei straffälligen Patient:innen im Vergleich zu nicht straffälligen Patient:innen mit SSD untersucht hat. Die Analyse erfolgte mittels moderner statistischer Techniken - Machine Learning. Während forensische Patient:innen höhere Dosen von Antipsychotika erhielten, waren allgemeinpsychiatrische Patient:innen häufiger von einer polypharmakologische Behandlung sowie zusätzliche Gabe von Antidepressiva und Benzodiazepine betroffen. Der Vortrag diskutiert die möglichen Hintergründe und klinischen Implikationen der Ergebnisse.
17:59 Uhr
Arzneimittelsicherheit im Maßregelvollzug
S. Krimmer (Haina (Kloster), DE)
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S. Krimmer (Haina (Kloster), DE)
Arzneimitteltherapie im Maßregelvollzug
Unter Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) versteht man die sichere Anwendung von Arzneimittel, sodass vermeidbare Medikationsfehler, und die daraus ergebenen Therapierisiken für PatientInnen verringert bis vermeiden werden.
Damit Arzneimitteltherapiesicherheit bei forensischen PatientInnen im Maßregelvollzug hinreichend bewertet werden kann, soll in diesem Vortrag vor allem anhand von Praxisbeispielen aufgezeigt werden, mit welchen Herausforderungen forensische PsychiaterInnen in Bezug auf die Psychopharmakotherapie umzugehen haben.
Es wird bspw. dargestellt, in wie fern sich die psychopharmakologische Behandlung der forensischen Psychiatrie von allgemeinpsychiatrischen Vorgehensweisen unterscheidet um dem sog. "Doppelmandat" aus Patientenbehandlung einerseits, und dem Sicherungsaspekt andererseits, gerecht zu werden.
Aufgrund des Kausalzuammenhangs aus psychischer Erkrankung und Drittgefährlichkeit forensischer Patienten hat die forensisch-psychopharmakologische Behandlung sich entsprechend auszurichten. Behandlungsentscheidungen unterliegen daher häufig multiplen Indikatoren und Abwägungsaspekten. In einigen Fällen können bspw. Verträglichkeitsfaktoren höheren Behandlungszielen nachstehen.
In diesem Zusammenhang soll u. a. auf die klinischen Erfahrungen der sog. Antipsychotika-induzierten "Dopamin-Supersensitivität" eingegangen werden, ein Einblick in die für die forensiche Psychaitrie Haina weit ausdifferenzierten Grundlagen von forensicher Arzneimittelsicherheit wird dargestellt.
18:21 Uhr
Through the looking glass – wie wir auch im Maßregelvollzug empirische Daten zu Pharmakotherapie gewinnen können
L. Machetanz (Zürich, CH)
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L. Machetanz (Zürich, CH)
Ungeachtet der in der Fachwelt akzeptierten Auffassung, dass kriminelles Verhalten bei Patient:innen mit einer Schizophrenie-Spektrum-Störung vermeidbar und behandelbar ist, ist die Studienlage zu pharmakotherapeutischen Ansätzen speziell in der forensischen Psychiatrie dürftig. Dies liegt nicht zuletzt an der erschwerten Durchführbarkeit randomisierter Studien, welche zu einer Benachteiligung der Kontrollgruppe führen könnten, zum Beispiel durch eine prolongierte Dauer des Massregelvollzugs. Die wenigen existierenden Studien sind also in der Regel retrospektiv, mit geringer Fallzahl und einem hohen Risiko für Bias. Eine direkte Übertragung von Studienergebnissen aus der Allgemeinpsychiatrie hingegen wird der speziellen Subpopulation des forensisch-psychiatrischen Patient:innen nicht gerecht aufgrund einer Reihe systematischer Unterschiede zwischen den Patientengruppen und den Behandlungsbedingungen, einschließlich des höheren Anteils an Komorbidität, des erzwungenen Behandlungskontextes im Rahmen der gerichtlich angeordneten Therapie, und der Vorgeschichte von teilweise schweren gewalttätigen Verhaltens. Der Vortrag behandelt die Schwierigkeiten und Herausforderngen pharmakologischer Evidenzen im Bereich der Straftäterbehandlung zu generieren und stellt anhand einer aktuell laufenden Mirror-Image-Studie einen möglichen Lösungsansatz dar.