Eine der zentralen Herausforderungen in der Entwicklung neuer diagnostischer Biomarker und therapeutischer Ansätze für psychiatrische Erkrankungen ist die Inhomogenität der aktuellen Krankheitsentitäten. So kann z. B. die nötige Kombination an primären und sekundären Symptomen für die Diagnose einer Depression durch Tausende von verschiedenen Varianten erreicht werden. Auch bei Erkrankungen wie der Schizophrenie, der bipolaren Störung oder dem Autismus unterscheiden sich die betroffenen Personen oft in Symptomen, Verlauf und Therapieresponse deutlich voneinander.
Als ein nicht-invasiver, vielschichtiger Zugang zur individuellen Neurobiologie stellt die funktionelle und strukturelle Bildgebung ein zentrales Instrument für die Aufklärung der Heterogenität diagnostischer Entitäten und der Definition von biologisch spezifisch(er)en Subgruppen dar. Auf der anderen Seite sollte die a priori Stratifizierung anhand von klinischen bzw. phänotypischen Merkmalen, z. B. Einschränkungen entlang der sogenannten RDoC Kriterien, durch die verbesserte Homogenität aussagekräftigere Bildgebungsstudien einschließlich prädiktiver Vorhersagemodelle ermöglichen.
In diesem Symposium des DGPPN-Referats „Bildgebung und Systemische Neurowissenschaften“ widmen wir uns der vielschichtigen Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Stratifizierung diagnostischer Entitäten durch und für die Bildgebung. Hierbei werden sowohl die konzeptuellen Perspektiven und Herausforderungen beleuchtet als auch jeweils konkrete Erfahrungs- bzw. Anwendungsbeispiele für entsprechende Stratifizierungsansätze vorgestellt.
15:30 Uhr
Cluster, Biotypes und Dimensionen: Was können datengetriebene Modelle (nicht)?
S. Eickhoff (Jülich, DE)
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Autor:in:
S. Eickhoff (Jülich, DE)
Ein wichtiger Aspekt auf dem Weg zu einer personalisierten Psychiatrie ist eine bessere Differenzierung psychopathologisch und aller Wahrscheinlichkeit nach auch neurobiologisch heterogener Kranheitsentitäten. So ist es nicht überraschend, dass die Suche nach datengetriebenen Subgruppen für Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder Demenz ein höchst aktives und vielversprechendes Forschungsfeld darstellt. In dieser Übersicht werden die konzeptionellen und technischen Grundlagen der in diesem Bereich zentralen Verfahren wie Cluster-Analysen, Dimensionsreduktion und kanonische Korrelationsanalysen einführend dargestellt. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Möglichkeiten und Grenzen der Aussagekraft aus der Perspektive der klinischen Forschung und Anwendung
16:00 Uhr
FMRT-Marker zur pathophysiologischen Subtypisierung depressiver Störungen und optimierten Auswahl der antidepressiven Pharmakotherapie – eine OptiMD-Studie
O. Gruber (Heidelberg, DE)
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Autor:in:
O. Gruber (Heidelberg, DE)
Die neurofunktionelle Bildgebung stellt ein zentrales Untersuchungsverfahren zu einem besseren Verständnis pathophysiologischer Prozesse dar, die psychiatrischen Störungsbildern zugrunde liegen. Unterschiedliche Therapieresponses auf spezifische medikamentöse oder auch psychotherapeutische Ansätze könnten maßgeblich zur Identifizierung von biologisch homogeneren und spezifischeren Subgruppen innerhalb der biologisch sehr heterogenen diagnostischen Kategorien beitragen.
In diesem Vortrag werden vorrangig Ergebnisse der BMBF-geförderten OptiMD-SP5-Studie vorgestellt, die die multizentrische Replikation und Erweiterung von fMRT-Biomarkern für eine stratifizierte Behandlung von Subtypen depressiver Störungen zum Ziel hatte. Dabei wurden 133 Patienten mit einer rezidivierenden depressiven Störung nach klinischen Erwägungen mit verschiedenen Antidepressiva monotherapeutisch behandelt. Zu Studienbeginn wurden mögliche pathophysiologische Veränderungen in verschiedenen neurofunktionellen Systemen mittels fMRT untersucht. Ziel war insbesondere die Bestimmung Substanzklassen-spezifischer Marker für Response bzw. Non-Response.
Die in einer Vorstudie erstmals identifizierten Substanzklassen-spezifischen Marker für ein bevorzugtes Ansprechen auf SSRIs vs. Agomelatin in der Amygdala und im ventralen Striatum konnten erfolgreich repliziert werden. Auch im Behandlungsarm mit Mirtazapin konnten erstmals Response-Marker, u.a. im ventralen Striatum, prägenualen ACC und Thalamus identifiziert werden. Weitere Response-Marker im verbalen Arbeitsgedächtnissystem könnten zur zielgerichteten Auswahl zwischen Mirtazapin und Agomelatin beitragen.
Die vorliegenden, teilweise replizierten Studienergebnisse sowie eine bereits mehrjährige klinische Anwendung belegen deutlich, dass eine Stratifizierung durch die neurofunktionelle Bildgebung maßgeblich zu einer verbesserten Diagnostik und effektiveren Therapie im Sinne einer Präzisionspsychiatrie beiträgt.
16:30 Uhr
Untersuchung der Enden des polygenen Risikospektrums der Schizophrenie zur besseren Erfassung angstbezogener Hirnstrukturen – eine UK Biobank-Studie
L. Sindermann (Bonn, DE)
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Autor:innen:
L. Sindermann (Bonn, DE)
C. Fell (GB)
S. Paracchini (GB)
M. Nöthen (DE)
A. Forstner (DE)
Psychische Störungen sind weit verbreitet und zeigen Überschneidungen bei genetischen Faktoren und Symptomen wie z. B. Angstzuständen. Es wird angenommen, dass ein erhöhter polygener Risikoscore für Schizophrenie (PRS_SCZ) mit erhöhter Angst einhergeht. Jedoch ist der Zusammenhang des PRS_SCZ mit angstbezogenen fronto-limbischen Hirnstrukturen nur unzureichend verstanden. Die vorliegende Studie geht dieser Korrelation nach und fokussiert dabei auf die Enden des Spektrums des PRS_SCZ. Zu diesem Zweck haben wir Individuen der UK Biobank hinsichtlich des ersten (n=2883), zweiten (n=2776), neunten (n=2611) und zehnten Dezils (n=2422) des PRS_SCZ stratifiziert. Untersucht wurden Gruppenunterschiede in den regionalen Volumina der grauen Substanz (rGMV) der Amygdala, der Insula, des Hippocampus und des medialen frontalen Kortexes (ROIs) unter Verwendung einer univariaten Kovarianzanalyse. Darüber hinaus haben wir überprüft, ob Personen mit / ohne Angst sich im PRS_SCZ und in den rGMV der ROIs unterscheiden. Zuletzt versuchten wir, das erste vs. zehnte Dezil des PRS_SCZ mittels der rGMV der ROIs unter Verwendung eines maschinellen Lernansatzes zu klassifizieren. Wir entdeckten ein verringertes rGMV in der Amygdala in Individuen mit erhöhtem im Vergleich zu verringertem PRS_SCZ und keine Gruppenunterschiede in den anderen ROIs. Individuen mit Angst im Vergleich zu solchen ohne Angst zeigten erhöhte Werte im PRS_SCZ und verringere rGMV in allen ROIs. Die Klassifikationsgenauigkeit des maschinellen Lernansatzes lag bei 55%. Unterschiede in der Amygdala unterstreichen den potentialen Zusammenhang zwischen der genetischen Veranlagung für Schizophrenie und Angst. Die Analyse der Enden der genetischen Veranlagung für psychische Erkrankungen könnte in Zukunft dazu beitragen, personalisierte Behandlungsmöglichkeiten durch eine bessere Stratifizierung von Individuen anzubieten. Es sind jedoch weitere Replikationen erforderlich, um mögliche Anwendungen dieses Ansatzes zu klären.