Raum:
Saal A8 (Stream/on Demand)
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 11: Notfallpsychiatrie und Suizidalität
Stream/on Demand
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Die PreVCo-Studie zur Verringerung der Anwendung von Zwangsmaßnahmen auf psychiatrischen Stationen wurde von März 2020 bis Februar 2023 auf 55 psychiatrischen Stationen in Deutschland durchgeführt. Erste Ergebnisse hatten wir auf dem DGPPN Kongress 2022 in einem Symposium präsentiert. Inzwischen liegen die vollständigen Ergebnisse vor. Die ersten zwei Vorträge sollen die Präsentation der quantitativen und qualitativen Ergebnisse beinhalten, die hinsichtlich ihrer Aussagekraft, ihrer Limitationen und im Hinblick auf die Nachhaltigkeit diskutiert werden. Danach soll der Fokus zur Leitlinienimplementierung wechseln. Dorothea Sauter wird Erfahrungen und Daten mit dieser Studie als Implementierungsberaterin berichten, Uta Gühne wird abschließend das Thema erweitern zur generellen Frage der Leitlinienimplementierung in der psychiatrischen Versorgung (Evidenz und eigene Erfahrungen mit der S3-Leitlinie psychosoziale Therapien).
08:30 Uhr
Quantitative Ergebnisse des PreVCo-RCT und der Prä-Post-Analysen
S. Hirsch (Biberach, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
S. Hirsch (Biberach, DE)
Quantitative Ergebnisse des PreVCo RCT und der Prä-Post-Analysen
Hirsch S, Die PreVCo-Forschungsgruppe, Flammer E, Steinert T
Die PreVCo (Prevention of Violence and Coercion)-Studie war ein deutschlandweites RCT. Sie begleitete die landesweite Implementierung der S3-Leitlinie zur Vermeidung von Zwang und zur Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens auf 55 psychiatrischen Stationen von der Nordsee bis zum Bodensee wissenschaftlich.
Ziel war es, die Leitlinie flächendeckend zu implementieren und zu zeigen, dass in Studien entwickelte Interventionen auch im klinischen Alltag erfolgreich angewendet werden können und dass so Zwang reduziert werden kann, ohne dass es zu mehr Übergriffen kommt. Die Stationen konnten aus einem Set von 12 Implementierungsempfehlungen (z. B. strukturierte Nachbesprechungen von Zwangsmaßnahmen, milieutherapeutische Interventionen) wählen, die dann mit Hilfe von speziellen Implementierungsberatenden in multiprofessionellen Workshops eingeführt wurden.
Es wurde ein Matched-Pair-Design mit Wartelistenkontrollgruppe verwendet. Der primäre Endpunkt waren Zwangsmaßnahmen pro Monat und belegtes Bett. Sekundäre Endpunkte waren die Güte der Implementierung und damit Leitlinientreue der Arbeit der Station nach Implementierung, die Dauer der Zwangsmaßnahmen und die Anzahl der aggressiven Übergriffe.
Im RCT konnte gezeigt werden, dass sich die Implementierungsempfehlungen selbst unter den schwierigen Covid-19-Bedingungen umsetzen ließen. Es zeigte sich eine Reduktion von Zwangsmaßnahmen in beiden Gruppen, wobei der Unterschied zwischen Kontroll- und Wartelistengruppe nicht signifikant wurde. In einem weiteren Studienjahr wurde das Programm auf den Wartelistenstationen eingeführt sowie Follow-up-Daten auf den Interventionsstationen erhoben. Diese Daten werden ebenfalls präsentiert, da sie gute Einblicke in die Wirksamkeit fernab von Beobachtungseffekten und zudem erste Hinweise auf die Nachhaltigkeit der Implementierung geben.
08:52 Uhr
Qualitative Ergebnisse der PreVCo-Studie: Schlussfolgerungen für die klinische Praxis
S. Jaeger (Ravensburg, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
S. Jaeger (Ravensburg, DE)
Einleitung: Die PreVCo-Studie zur begleiteten Implementierung von Handlungsempfehlungen der S3-Leitlinie wurde ab 2020 bundesweit auf insgesamt 55 allgemeinpsychiatrischen Stationen in Form eines RCTs mit Warte-Kontrollgruppen-Design durchgeführt. Neben den möglichen Effekten der Intervention auf Häufigkeit und Dauer von Zwangsmaßnahmen auf den teilnehmenden Stationen interessierte auch, welche Faktoren aus Sicht der Stationsmitarbeitenden den Implementierungsprozess begünstigt oder erschwert haben; außerdem, ob und welche Veränderungen im Rahmen der Studienteilnahme auf den Stationen wahrgenommen wurden. Welche Schlussfolgerungen lassen sich für die klinische Praxis ableiten?
Methoden: Mitarbeitende der teilnehmenden Stationen wurden mittels problemzentrierter Interviews zu ihren Erfahrungen mit der Implementierung der Handlungsempfehlungen und zu möglichen Veränderungen durch die Neuerungen befragt. Die Transkripte der meist im Gruppensetting durchgeführten Gespräche wurden mit einem Analyseschema in Anlehnung an den Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR) zusammenfassend inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Die Einführung der von den Stationen gewählten Maßnahmen zur Reduktion von Aggression und Zwang auf Station stieß generell auf großes Interesse und war vielerorts gut anschlussfähig an bereits bestehende Maßnahmen. Bei der praktischen Umsetzung im Stationsalltag stellten neben pandemiebedingte Veränderungen des Routinebetriebs u.a. ungünstige Arbeitsstrukturen und ein Mangel an Ressourcen besondere Herausforderungen dar. Alle Stationen begannen mit der Umsetzung. Auch wenn die Verstetigung der Maßnahmen bis zum Ende der Studie nicht überall (vollständig) gelang, berichteten dennoch viele Teilnehmende von positiven Erfahrungen im Sinne einer Erweiterung professioneller Handlungsspielräume, einer Verbesserung von Arbeits- und Stationsatmosphäre und einer stärkeren Sensibilisierung für Patient*innenbedürfnisse.
09:14 Uhr
Lessons learned: Was haben wir für die Implementierung komplexer Interventionen gelernt?
D. Sauter (Münster, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
D. Sauter (Münster, DE)
Leitlinien in multiprofessionellen Teams zu implementieren, gilt als Herausforderung. In der PreVCo-Studie verlief die Implementierung in 55 psychiatrischen Teams überwiegend sehr erfolgreich. Es wurde geprüft, inwiefern das Implementierungskonzept der PreVCo-Studie eine geeignete Blaupause für Leitlinienimplementierung darstellt.
Drei Elemente kennzeichneten die Implementierung der Leitlinie „Verhinderung von Zwang“:
• 12 Implementierungsempfehlungen: sie geben multiprofessionellen psychiatrischen Teams sehr konkrete und realisierbare Handlungsempfehlungen auf Teamebene.
• Tool für die Selbstbewertung: das PreVCo-Rating ermöglichte den Teams, ihr Handeln hinsichtlich Leitlinientreue zu bewerten.
• Strukturiertes Implementierungskonzept: für eine operationalisierte Implementierung wurde auf Basis einschlägiger Theorien und Befunde sowie der Erfahrungen der Vorstudie ein verbindliches Implementierungskonzept entwickelt. Dessen Umsetzung wurde von drei erfahrenen Implementierungsberatenden begleitet und unterstützt.
Neben den Daten aus den Implementierungsworkshops wurden die Erfahrungen der Implementierungsberatenden deskriptiv ausgewertet und mit den qualitativen und quantitativen Befunden der Studie abgeglichen.
Die 12 Empfehlungen zeigten sich zusammen mit dem PreVCo-Rating Tool als sehr impulsgebend und hilfreich. Zudem ermöglichte Rating eine Einschätzung der Veränderungen, was motivationsfördernd war. Die Implementierungsberatung durch externe Coaches wurde sehr unterstützend erlebt. Maßgeblich scheint zu sein, dass für alle Handlungsschritte verantwortliche Personen benannt sind und Ressourcen haben.
Dass die Erfolge trotz der zeitgleichen Corona-bedingten Belastungen der Teams möglich waren, macht die Ergebnisse vertrauenswürdig. Lohnend wäre, die deskriptiven und explorativen Auswertungen näher zu beforschen. Insgesamt schienen die Kombination der drei genannten Elemente sowie die konsequente Implementierungsbegleitung maßgeblich für den Erfolg zu sein.
09:36 Uhr
Wie gut gelingt die Implementierung psychiatrischer Leitlinien? Perspektiven und Potentiale
U. Gühne (Leipzig, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
U. Gühne (Leipzig, DE)
T. Becker (Leipzig, DE)
M. Kösters (DE)
S. Riedel-Heller (DE)
Häufig geschieht die Übernahme klinischer Leitlinien in den Versorgungsalltag nur ungenügend. Das führt zu Abweichungen der tatsächlichen von der empfohlenen Praxis. Die Implementierung von Leitlinien sollte deshalb explizit forciert werden. International existiert ein umfangreicher Forschungskorpus im Bereich der implementation sience. Im Bereich psychischer Gesundheit weiß man allerdings bisher wenig darüber, welche Interventionen die Implementierung von Behandlungsleitlinien unterstützen und Outcomes bei den Leistungserbringer:innen und Leistungsnutzer:innen verbessern. Besonders unzureichend sind bisher die Effekte von Patientenleitlinien untersucht. Dabei sind Patientenleitlinien wichtige Ressourcen, um die Gesundheitskompetenz zu erhöhen und die Betroffenen dabei zu unterstützen, informierte Entscheidungen über mögliche Therapien zu treffen. Patientenleitlinien sind im Bereich psychischer Gesundheit bei den Betroffenen selbst weitgehend unbekannt. Dennoch besteht eine große Bereitschaft, sie zu nutzen.
Im Rahmen einer kontrollierten, cluster-randomisierten multizentrischen Studie wurden die Implementierung der Patientenleitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ (IMPPETUS) und ihre Effekte auf eine verbesserte Informiertheit und bessere Inanspruchnahme evidenzbasierter psychosozialer Therapien untersucht. Kernstück der multimodalen Strategie war eine zweiteilige Gruppensitzung für Patient:innen, in der die Inhalte der Betroffenenleitlinie anschaulich (z. B. mit Fallbeispielen, Postern, Präsentation) erarbeitet wurden. Mit Hilfe aktivierender Elemente (z.B. eigene Erfahrungen der Teilnehmenden mit psychosozialen Therapien) wurden individuell bedeutsame Aspekte herausgestellt. In einem Modul wurde über die konkrete psychosoziale Versorgungslandschaft in der Region informiert. Die Inhalte der Betroffenenleitlinie wurden zudem internetbasiert und für die mobile Nutzung optimiert zur Verfügung gestellt (www.thera-part.de).