15:30 Uhr
P-01-01: Zwangssymptome bei zwei Patientinnen mit strategischen Basalganglienläsionen
K. von Zedtwitz (Freiburg im Breisgau, DE)
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Autor:innen:
K. von Zedtwitz (Freiburg im Breisgau, DE)
H. Urbach (DE)
K. Runge (DE)
B. Feige (DE)
K. Nickel (DE)
M. Schiele (DE)
K. Domschke (DE)
M. Reisert (DE)
V. Coenen (DE)
D. Endres (DE)
Einführung: Zwangsstörungen sind neuroanatomisch durch eine Dysfunktion der kortiko-striato-thalamo-kortikalen Schleifensysteme gekennzeichnet. Zwei kürzlich publizierte Patientinnen mit Zwangssymptomen und strategischen Basalganglien-Läsionen werden präsentiert (Endres*, von Zedtwitz* et al., 2023, Mol Psychiatry [*Shared first]).
Methode: Im Rahmen der diagnostischen Abklärung wurde unter anderem eine Traktographie der Hirnläsionen mittels „Diffusion Tensor Imaging“ (DTI) durchgeführt. Leitliniengerecht erfolgten eine kognitive Verhaltenstherapie sowie eine psychopharmakologische Behandlung mit Sertralin.
Ergebnisse: Bei Patientin 1, einer 30-jährigen Frau mit Zwangsstörung, ergab die diagnostische Abklärung eine MRT-Läsion im rechten Nucleus caudatus. Die DTI-Traktographie der Faserbündel, die an der strategischen einseitigen Läsion im rechten Nucleus caudatus beteiligt waren, zeigte, dass die sich kreuzenden Faserbündel den superolateralen Ast des medialen Vorderhirnbündels mit dem mediodorsalen Thalamus und möglicherweise mit dem Nucleus striae terminalis verbinden. Eine Beteiligung des „Reward- und Affektnetzwerks“ wurde angenommen. Bei Patientin 2, einer 26-jährigen Frau mit Zwangsstörung, ergab die Diagnostik eine FLAIR-hyperintense Läsion im rechten Globus pallidus externus. Bei der traktographischen Analyse wurde die Beteiligung von Fasern des „Motor-Kontrollnetzwerks“ und des indirekten Pathways festgestellt. Nur Patientin 1 zeigte ein überzeugendes Ansprechen auf die Behandlung (Patientin 1: Y-BOCS: -63%; OCI-R: -67%; Patientin 2: Y-BOCS: +12.5%; OCI-R: -37%).
Schlussfolgerung: Bei Patientin 1 könnte die Läsion im rechten Nucleus caudatus die Schaltkreise des „Reward- und Affektnetzwerks“ beeinträchtigt haben. Bei Patientin 2 fand sich hingegen eine Beteiligung des „Motor-Kontrollnetzwerks“ und des indirekten Pathways. MRT-Forschungsverfahren können das Verständnis über die Pathophysiologie bei individuellen Patient:innen mit Zwangsstörungen verbessern.
15:35 Uhr
P-01-02: Intensive ganztägige Expositionstherapie mit Reaktionsmanagement bei Zwangsstörungen im stationären Setting
M. Mühlbacher (Traunstein, DE)
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Autor:innen:
M. Mühlbacher (Traunstein, DE)
R. Schennach (DE)
E. Zißler (DE)
I. Grahic (DE)
K. Dinzinger (DE)
I. Fitz (DE)
S. Koch (DE)
U. Voderholzer (DE)
Hintergrund: Das Bergen Four Day Treatment (BFDT) ist ein innovatives Modell für die Behandlung von Zwangserkrankungen und umfasst vier Tage intensive und individualisierte Therapie, mit ganztägigen Einheiten Expositionstherapie mit Reaktionsmanagement (REM) als methodisches Kernelement. Das BFDT hat sich in verschiedenen Studien auch in Follow-Up-Erhebungen als äußerst effektiv und robust erwiesen und wurde bisher im tagesklinischen Setting untersucht. Pilotstudie wurde untersucht, ob ganztägige Expositionstage im Rahmen einer stationären kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) in einer nicht selektierten Stichprobe therapeutisch wirksam sind. Zudem wurde Adhärenz und Verträglichkeit untersucht.
Methoden: Bei 31 stationär behandelten Zwangspatienten der Schön Klinik Roseneck kamen bei Aufnahme und Entlassung aus der stationären multimodalen und leitlinien-gerechten KVT die Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (Y-BOCS) und das Beck-Depression-Inventar 2 (BDI 2) zum Einsatz. Zudem wurde ein 11 Items umfassender Selbstrating Fragebogen (Skala 1 bis 10) eingesetzt, der die subjektiv erlebte Wirksamkeit sowie Verträglichkeit des Expositionstages erfasst.
Ergebnisse: Zwangssymptomatik und Depressionssymptome nahmen deutlich ab (Y-BOCS: d = 1,4; BDI 2: d = 0,9). Beim Vergleich zu einer Routinestichprobe der Klinik ohne Expositionstage zeigten sich kleine Effekte für die Reduktion der Zwangssymptomatik (d = 0,3) und keine signifikanten Unterschiede in der Depressivität. Die Patienten erlebten den Expositionstag hilfreicher als eine einzelne REM (M = 8.17, SD = 1.69) und insgesamt wirksam zur Reduktion der Zwangssymptomatik (M = 7.53, SD = 1.77). Kein Patient brach einen Expositionstag ab.
Schlussfolgerung: Ganztägige REM scheint in der Behandlung von Zwangspatienten wirksamer zu sein als einzelne, therapeutisch begleitete REM. Expositionstage werden von Patienten sehr gut angenommen und als hilfreich erlebt.
15:40 Uhr
P-01-03: Wirksamkeit einer internetbasierten Intervention mit Expositionstherapie in der virtuellen Realität bei Menschen mit Panikstörung: eine randomisiert kontrollierte Studie
J. Schultz (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
J. Schultz (Hamburg, DE)
A. Baumeister (Hamburg, DE)
S. Schmotz (Hamburg, DE)
S. Moritz (Hamburg, DE)
L. Jelinek (Hamburg, DE)
Hintergrund: Die Smartphone-App „Invirto Therapie für Menschen mit Panikstörung“ ist eine begleitete internetbasierte Psychotherapie auf der Basis aktueller Leitlinien zur Behandlung von Panikstörungen. Invirto nutzt virtuelle Realität für die Expositionstherapie und zielt darauf ab, die Versorgungslücke für Menschen mit Panikstörung zu verkleinern sowie hilfreiche Strategien für die Bewältigung psychischer Probleme zu vermitteln.
Methoden: In der vorliegenden randomisierten kontrollierten Studie (Invirto Therapie vs. care-as-ususal) wurden 123 Teilnehmende mit einer Panikstörung (Erkrankungsdauer ≥ ein Jahr) mittels einer Online-Erhebungen zu drei Messzeitpunkten (Baseline [t0], 3 [t1] und 6 [t2] Monate nach Baseline) befragt. Primärer Outcome ist die Veränderung der Angstsymptomatik (Beck's Anxiety Inventory) von t0 zu t1. Sekundäre Outcomes sind die Veränderung der Angstsymptome (Panic and Agoraphobia Scale, PAS; Body-Related Anxiety, Cognition, and Avoidance Questionnaire, ACA), depressive Symptome (Becks-Depression-Inventory, BDI-II), Behandlungszufriedenheit (Patient Satisfaction, CSQ-8; Treatment Adherence Perception Questionnaire, TAPQ; Positive and Negative Effects of Psychotherapy Scale, PANEPS-I), psychologische Flexibilität (Acceptance and Action Questionnaire-II, AAQ-II) und Dissoziation während der VR-Exposition (adaptierte Version des Peritraumatic Dissociative Experiences Questionnaire, PDEQ-adapt). Wir gehen davon aus, dass die Interventionsgruppe im Vergleich zur CAU-Gruppe sowohl in den primären als auch bei den sekundären Outcomes von t0 zu t1 überlegen ist.
Diskussion: Diese Studie ist eine der ersten, die eine internetbasierte Intervention für Menschen mit Panikstörung evaluiert, die eine Virtual-Reality-Expositions-Therapie in Eigenregie beinhaltet. Die Datenerhebung zum Postzeitpunkt wird im September 2023 abgeschlossen sein. Die Ergebnisse der t0 und t1 Untersuchung werden zum Zeitpunkt des Kongresses vorgestellt.
15:45 Uhr
P-01-04: Improved attention performance in soldiers with posttraumatic stress disorder (PTSD) after a combination of trauma-focused-therapy and a neurocognitive intervention
L. Goldschmidt (Witten, DE)
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Autor:innen:
L. Goldschmidt (Witten, DE)
P. Muschner (Witten, DE)
G. Willmund (Berlin, DE)
M. Piefke (Witten, DE)
Introduction Soldiers have an increased risk of developing PTSD after a deployment abroad. Trauma-focused therapy is currently the treatment of choice. However, studies suggest that PTSD is often linked to neuropsychological impairments, particularly in the domains of attention and executive functions. In this study, we aimed at examining whether a combination of trauma-focused therapy and computer-based neurocognitive training (c-bnt) can improve dimensions of attentional performance in soldiers with PTSD.
Method Soldiers were recruited at the Armed Forces Hospital Berlin and randomly assigned to an intervention group (IG)(combined trauma-focused therapy and c-bnt) a control group (CG) (established trauma-focused therapy only). The IG accomplished a c-bnt four days a week across three weeks. Before and after the intervention, participants were examined neuropsychologically. To record long-term effects, three catamneses were carried out at intervals of 6 months. To assess distinct dimensions of attention performance, the D2-test was applied.
Results Preliminary data suggest that attentional performance of the IG improved significantly in three subdimensions of the D2-test. These were mistakes, number of processed target objects, and concentration performance. Compared to the CG, the IG showed a significantly higher number of processed target objects and a better concentration performance.
Discussion Our data suggest that c-bnt may improve selective dimensions of attention in soldiers with PTSD, which are basically relevant for unimpaired daily living and also for options of reintegration of soldiers into service. Studies with larger samples are needed to confirm our results.
Conclusion We propose that a combination of trauma-focused therapy and c-bnt may improve dimensions of attention and most likely further cognitive domains in soldiers with PTSD. Moreover, we assume that this combined approach may also reduce clinical clinical symptoms of PTSD.
15:50 Uhr
P-01-05: A pilot evaluation of the efficacy of trauma therapy in combination with computer-based neurocognitive training (c-bnt) for soldiers with posttraumatic stress disorder (PTSD): a randomized controlled trial
P. Muschner (Witten, DE)
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Autor:innen:
P. Muschner (Witten, DE)
L. Goldschmidt (Witten, DE)
G. Willmund (Berlin, DE)
M. Piefke (Witten, DE)
Introduction: Soldiers, who have been deployed abroad, have a two- to fourfold increased risk of developing PTSD, other anxiety disorders, and comorbid depression. Studies suggest that PTSD in is also associated with cognitive deficits in executive functions. Military Hospitals use evidence-based therapies to treat deployment sequelae. However, these therapies do not target neurocognitive deficits. The research question arises whether a combination of evidence-based trauma therapy and c-bnt will enhance neuropsychological functioning and will in consequence also lead to an improvement of psychological symptoms. The aim of this study is to investigate the efficiency of a neuropsychological intervention in combination with trauma therapy. We hypothesized that training-related enhancement of neurocognitive functioning improves neuropsychological performance and reduces psychological symptoms.
Method: In this multicenter study with pre-post comparisons, soldiers with PTSD were randomly assigned to either trauma therapy (control group) or c-bnt in combination with trauma therapy (intervention group). Participants received comprehensive clinical and neuropsychological assessment before and after a three week the intervention, with follow-up measures after six, twelve and 18 months. The intervention group received trauma therapy and additional three weeks of c-bnt for an hour per day at four days a week.
Results: The preliminary data suggest an improvement in outcome measures after the intervention for both groups. Participants in the intervention group showed a greater benefit than the control group after the intervention.
Discussion: Our preliminary data suggest that PTSD Patients benefit from trauma therapy in combination with c-bnt with respect to the clinical outcome. A higher number of cases is necessary to validate our results. A combination of trauma therapy and c-bnt may also lead to improved reintegration of soldiers into service.
15:55 Uhr
P-01-06: Neuronale Korrelate der Eye-Movement Desensitization und Reprocessing (EMDR)-Stimulation bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) durch einsatzbezogene Traumata
C. Wentholt (Ulm, DE)
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Autor:innen:
C. Wentholt (Ulm, DE)
D. Jaeschke (Ulm, DE)
B. Abler (Ulm, DE)
M. Ulrich (Ulm, DE)
G. Grön (Ulm, DE)
V. Tumani (Ulm, DE)
B. Hossfeld (Ulm, DE)
K. Malejko (Ulm, DE)
J. Spohrs (Ulm, DE)
Einleitung:
EMDR ist ein effizientes traumatherapeutisches Verfahren zur Reduktion von PTBS-Symptomen. Zentral ist hierbei die bilaterale Stimulation (BS), wobei die Wirkmechanismen bislang wenig verstanden sind. Das vorliegende Forschungsprojekt soll die Effekte der BS auf die neuronale Verarbeitung traumabezogener emotionaler Reize untersuchen. Die neurobiologische Befundlage dazu ist heterogen. Einerseits konnte eine signifikant höhere Aktivität innerhalb der Amygdala und eine signifikant verringerte Aktivität innerhalb des lateralen präfrontalen Kortex im Zusammenhang mit BS beobachtet werden, andererseits wurde eine verringerte neuronale Aktivität und Konnektivität in Bereichen gefunden, die mit der emotionalen Verarbeitung zusammenhängen können (Herkt et al., 2014, Thomaes et al., 2016).
Methoden:
Aufbauend auf eigenen Untersuchungen zur neuronalen Verarbeitung traumabezogener Reize bei Patientinnen (Malejko et al. 2020) und der EMDR-Technik bei gesunden Probandinnen (Herkt et al. 2014) soll die BS als Kernelement der EMDR-Methode untersucht werden. Dafür soll mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie identifiziert werden, welche Hirnregionen bei der Verarbeitung traumabezogener Reize, präsentiert als Audio-Skript eines traumatischen Ereignisses, unter EMDR aktiv sind. Spezifisch sollen Unterschiede in der Verarbeitung unter verschiedenen Arten der auditiven Stimulation (keine, alternierend, simultan) und Stimuli-Valenz (traumatische, negativ, neutral) ermittelt werden. Weiterhin sollen diese Effekte mit subjektiv wahrgenommenen Emotionen, insbesondere Angst, im Zusammenhang mit der Präsentation der traumatischen Stimuli gebracht werden. Für die Studie sollen 35 Probanden mit einsatzbezogener PTBS (Alter: 18-50 Jahre) untersucht werden.
Schlussfolgerung:
Die geplante Studie soll ein besseres Verständnis über die neuronalen Mechanismen von EMDR sowie eine Optimierung der therapeutischen Anwendung und der Behandlungsergebnisse ermöglichen.
16:00 Uhr
P-01-07: Einfluss früher Traumatisierung auf das Ansprechen einer stationären Behandlung und den langfristigen Krankheitsverlauf bei depressiven Störungen
J. Ratzsch (Jena, DE)
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Autor:innen:
J. Ratzsch (Jena, DE)
M. Richter (Jena, DE)
N. Opel (Jena, DE)
Misshandlungen in der Kindheit sind einer der wichtigsten Risikofaktoren für viele Arten von psychischen Erkrankungen, insbesondere für schwere depressive Störungen. Viele Studien haben Zusammenhänge zwischen Kindheitsmisshandlung und Schwere der Depression gezeigt, wohingegen es kaum Studien zu dem Einfluss auf den Therapieverlauf gibt. Gegenstand der Untersuchung waren daher die spezifischen Auswirkungen von Kindheitsmisshandlung insbesondere auf das Therapieansprechen sowie deren langfristige Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf nach einer stationären Behandlung.
Dies wurde in einer klinischen Stichprobe von Patienten mit einer depressiven Störung (N= 305) geprüft. Diagnose und klinische Merkmale (HAMD, GAF) wurden mit dem Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV, Achse I (SKID-I) und traumatische Erfahrungen in der Kindheit mit dem Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) erhoben. Der Verlauf der stationären Therapie wurde zweiwöchentlich mit dem Becks Depressionsfragebogen (BDI) und die Langzeituntersuchung mit dem Life Chart Interview erfasst. Die Daten wurden mit Regressionen und linearen gemischten Modellen analysiert.
Patienten mit Kindheitstraumata zeigten einen signifikant höheren Depressionswert (BDI, HAMD, GAF) zu Beginn der stationären Behandlung. Während der stationären Behandlung nahmen die Depressionswerte bei allen Patienten- mit und ohne frühere Kindheitsmisshandlungen- in gleicher Weise ab. Zur Entlassung zeigte sich eine niedrigere Remissionsrate bei Patienten, die mehr Kindheitstraumata erfahren haben. Im 1-Jahresverlauf haben Patienten mit Misshandlungen in der Kindheit signifikant höhere Rückfallquoten und signifikant niedrigere Remissionsraten.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass eine stationär-psychiatrische Behandlung bei depressiven Patienten mit Misshandlungserlebnissen in der Kindheit nicht ausreicht, um identische Remissionsraten zu erzielen. Daher ist es erforderlich, gezielte Therapieprogramme für diese Patienten zu entwickeln.
16:05 Uhr
P-01-08: Funktionelle Konnektivität zwischen den Hirnstammkernen und dem sensomotorischen Kortex bei therapieresistenter Depression
A. Gaspert (Hannover , DE)
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Autor:innen:
Z. Houjaije (Hannover, DE)
R. Schülke (DE)
N. Mahmoudi (DE)
M. Wattjes (DE)
C. Sinke (DE)
T. Krüger (DE)
A. Neyazi (DE)
S. Bleich (DE)
H. Frieling (DE)
H. Maier (DE)
A. Gaspert (Hannover , DE)
Die Lebenszeitprävalenz für die unipolare depressive Störung, als weltweit eine der häufigsten psychischen Erkrankungen, liegt national als auch international zwischen 11 und 16% (Fugger et al., 2022). Die schwer behandelbare Depression (engl. difficult-to-treat Depression; DTD), wird definiert als eine Form von Depression, bei der trotz herkömmlicher Behandlungsansätze weiterhin eine deutliche Krankheitslast besteht (McAllister-Williams et al., 2020). Frühkindliche Traumatisierung stellt dabei ein Risikofaktor dar, eine DTD zu entwickeln (Nelson et al., 2017). Auch ist Kindheitstraumatisierung mit einer Veränderung bestimmter Gehirnareale assoziiert. (Heany et al., 2018).
In einer Teilauswertung einer multizentrischen Registerstudie soll überprüft werden, inwiefern sich die funktionale Konnektivität des Hirnstammes von Patient:innnen mit einer DTD hinsichtlich der frühkindlichen Traumatisierung im Vergleich zu Patient:innen mit DTD ohne Kindheitstraumatisierung unterscheiden. Weiterhin sollen die Ergebnisse mit gesunden Kontrollprobanden verglichen werden. In dieser Analyse werden 53 Patient:innen mit einer DTD und 33 gesunde Kontrollprobanden berücksichtigt. Zur retrospektiven Erfassung der Traumatisierung in der Kindheit dient die deutsche Übersetzung des Selbstfragebogens Childhood Trauma Questionnaire (CTQ). Für die (Vor-)Verarbeitung, und die funktionalen Konnektivitätsanalysen wird die Matlab-basierte Bildbearbeitungsplattform CONN toolbox (22a) verwendet (Nieto-Castanon, A., & Whitfield-Gabrieli, S. (2021).
Die ersten Ergebnisse dieser Analyse sollen im Rahmen der Postervorstellung präsentiert werden.
16:10 Uhr
P-01-09: Der Einfluss von Depression und Misshandlungserfahrungen in der Kindheit auf die Anpassung von Lockdown- zu Öffnungsperioden in Zeiten der COVID-19-Pandemie
J. Herpertz (Münster, DE)
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Autor:innen:
J. Herpertz (Münster, DE)
J. Goltermann (DE)
M. Gruber (DE)
D. Emden (DE)
N. Winter (DE)
T. Kircher (DE)
I. Nenadić (DE)
U. Dannlowski (DE)
T. Hahn (DE)
N. Opel (DE)
Einleitung
Die COVID-19-Pandemie hat die mentale Gesundheit der Gesellschaft vor große Herausforderungen gestellt und wird dies auch weiterhin tun. Es ist bisher unzureichend erforscht, inwieweit der mit der Pandemie einhergehende Wechsel zwischen Lockdown- und Öffnungsperioden eine psychische Belastung, insbesondere für vulnerable Gruppen, darstellte.
Methoden
Mithilfe von Linear Mixed Effect Models erforscht diese Studie, wie die Stichprobe (74 Proband*innen mit der Diagnose einer Depression und 77 gesunde Kontrollpersonen) auf den Wechsel von Lockdown zu Öffnungsperiode in der ersten Pandemiewelle 2020 reagiert hat und inwieweit die Diagnose einer Depression und Misshandlungserfahrungen in der Kindheit eine moderierende Rolle bei der Anpassungsfähigkeit gespielt haben. Mittels eines Smartphone-basierten Monitorings untersuchten wir die Veränderung der COVID-19-bezogenen Angst, des Sozialverhaltens (direkte und indirekte Kontakte) und des Gefühls der Isolation während Lockdown- und Öffnungsperioden.
Ergebnisse
Während des Übergangs von Lockdown- zu Öffnungsperiode kann in der gesamten Studienpopulation eine Zunahme der direkten Kontakte, eine Abnahme der indirekten Kontakte, eine Abnahme der COVID-19-bezogenen Angst und eine Abnahme der eigen empfundenen Isolation beobachtet werden. Die Diagnose einer Depression und die Erfahrung von Misshandlungserfahrungen in der Kindheit hatten einen moderierenden Effekt auf die Entwicklung der COVID-19-bezogenen Angst: Proband*innen mit Diagnose einer Depression und Proband*innen mit Misshandlungserfahrungen in der Kindheit zeigten eine Zunahme der COVID-19-bezogenen Angst, während Kontrollen ohne Diagnose einer Depression und ohne Misshandlungserfahrungen weniger Angst in der Öffnungsperiode aufwiesen.
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Studie sind von zentraler Relevanz, da sie bei der Identifikation vulnerabler Gruppen in der postpandemischen Phase und bei zukünftigen Pandemien helfen können.
16:15 Uhr
P-01-10: Wirkmechanismen des Imagery Rescriptings: eine psychophysiologische Grundlagenstudie an Patient:innen mit posttraumatischer Belastungsstörung und Gesunden
V. Pape (Rostock, DE)
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Autor:innen:
V. Pape (Rostock, DE)
F. Rauschenbach (Rostock, DE)
B. Schubert (Rostock, DE)
Einführung: Imagery Rescripting (Arnoud Arntz, 2012) ist eine innovative traumatherapeutische Methode, die sich im Vergleich zur klassischen Traumatherapie durch das imaginative Verändern der belastenden Erinnerung hin zu einem positiven Ende auszeichnet. Als Wirkmechanismus wird ein „Überschreiben“ traumaassoziierter Reiz-Reaktionsmuster mit Abnahme der Sympathikus-Aktivierung bzw. Zunahme der Parasympathikus-Aktivierung vermutet.
Methode: Patient:innen mit Posttraumatischer Belastungsstörung und gesunde Kontrollprobanden werden mit individuellen Skripten (ursprüngliche belastende Erinnerung, umgeschriebene belastende Erinnerung, positive und neutrale Erinnerung) konfrontiert. Die emotionale Reaktion auf die Skripte wird mittels subjektiver (Ratingskalen) und physiologischer Verfahren (Startle Reflex, Zygomatikus-Aktivierung, Hautleitfähigkeit, Herzrate, Puls als Maße der Sympathikus-/Parasympathikus-Aktivität) gemessen.
Ergebnisse: Die subjektive Belastung nimmt bei den umgeschriebenen Erinnerungen im Vergleich zu den ursprünglichen belastenden Erinnerungen signifikant ab, und das Mastery- und Safety-Gefühl nimmt zu. In einem nächsten Schritt sollen mögliche physiologische Korrelate identifiziert werden.
Diskussion: Durch die Studie sind neue Erkenntnisse zu den Wirkmechanismen dieser innovativen Form der Traumatherapie zu erwarten.
16:20 Uhr
P-01-11: Der Einsatz der EMDR-Gruppenintervention „G-TEP“ in der ambulanten und stationären Behandlung: Implementierung und Effekte in heterogenen Patientengruppen
B. Hanewald (Gießen, DE)
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Autor:innen:
B. Hanewald (Gießen, DE)
M. Hemmerde (Mönchengladbach, DE)
E. Drutschmann (Gießen, DE)
V. Pape (DE)
M. Stingl (Gießen, DE)
Ziel: Effektivität und Durchführbarkeit der ressourcenbasierten EMDR-Gruppenintervention "G-TEP" (Group Traumatic Episode Protocol) zur Reduzierung von PTBS, Depression und Ängsten wurden untersucht. Die Studie prüfte die Anwendbarkeit von G-TEP im ambulanten Setting und als zusätzliche Behandlungsoption in einer psychiatrischen Klinik.
Methode: In Studie A erhielten 44 Patienten mit verschiedenen Symptomen und Diagnosen vier ambulante G-TEP-Sitzungen in einem randomisierten Wartelisten-Kontrollgruppen-Design. Verbesserungen der Symptome und Vorteile von G-TEP als vorgelagerte Behandlung wurden untersucht. Studie B analysierte gezielte Veränderungen der Symptomlast bei 23 Patienten und den Implementierungsprozess von G-TEP in einer psychiatrischen Klinik. IES-R, BDI-II, BSCL und FDS wurden vor und nach der Behandlung sowie im Follow-up verwendet.
Ergebnisse: Beide Studien zeigten signifikante und langanhaltende Reduktionen subjektiver Belastung und Beeinträchtigungen nach G-TEP. Belastende Erfahrungen wurden stärker ins Selbstkonzept integriert und wurden "ego-syntoner", Vermeidungsverhalten nahm ab, die Fähigkeit zur Bewältigung negativer Emotionen wurde gestärkt und Hoffnung gewonnen. Diese Effekte hatten positive Auswirkungen auf nachfolgende Behandlungsprozesse; einige Patienten waren bereits nach dieser kurzen G-TEP-Behandlung symptomfrei.
Fazit: G-TEP lindert effektiv Symptome belastender Erfahrungen und kann eigenständig in ambulanten Settings und in multimodale Therapieangebote in psychiatrischen Kliniken integriert werden. Es verhindert Symptomverschlechterungen und Chronifizierung von Erkrankungen und sollte im deutschen Gesundheitssystem implementiert werden.
16:25 Uhr
P-01-12: Patients views on the impact of climbing therapy: a qualitative study
C. Bichler (Innsbruck, AT)
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Autor:innen:
C. Bichler (Innsbruck, AT)
A. Frühauf (Innsbruck, AT)
V. Wallner (Innsbruck, AT)
Climbing therapy has been applied in the treatment of mental disorders for several years. A number of effects (e.g. increased self-efficacy, reduction in symptom severity) have been investigated primarily quantitatively. Thus, subjective perceived effects of climbing therapy among those affected are lacking.
A total of 16 out-patients (10 females, mean age: 47.9±16.5) with anxiety disorders (n=13), posttraumatic stress disorder (n=1), or comorbid anxiety and posttraumatic stress disorders (n=2) completed a climbing therapy treatment. The adjuvant treatment consisted of eight sessions of 90 minutes each during which bouldering and climbing were instructed by two climbing therapists. Semi-structured interviews, reflecting the individual experiences of the treatment, were conducted and analyzed by three raters using thematic content analysis.
Patients demonstrated effects of climbing therapy on emotional, cognitive, and social levels. Emotional effects were named as 'self-efficacy' and 'pleasure and contentment', describing how patients felt happy and confident after the climbing sessions. Cognitive effects included 'concentration and attention control' and 'challenge and competence enhancement'. Patients reported to be fully immersed in the climbing and not being able to focus on anything else except the next hold or step. On the level of social effects, 'trust and a sense of responsibility' and 'group experience' were identified. Adverse effects were also mentioned, 'fear of falling' and 'dependence on others'.
Patients described many positive effects of climbing therapy of which some were unique to the experience of climbing. These results extend the research in climbing therapy by showing perceived effects in the domains of emotion, cognition and social aspects. This could further address the problem of difficult measurability of potential effects, especially in a population with severe and chronical disorders, by adding qualitative research methods.
16:30 Uhr
P-01-13: Physicians’ burnout during the COVID-19 pandemic: a nationwide cross-sectional study of general practitioners and private practice specialists in Austria
I. Kurzthaler (Innsbruck, AT)
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Autor:innen:
I. Kurzthaler (Innsbruck, AT)
B. Holzner (AT)
A. Hofer (AT)
G. Kemmler (AT)
Objective: To assess the prevalence of burnout and psychological distress among general practitioners and private practice physicians of various specialities during the COVID-19 pandemic, and to identify contributing factors.
Methods: Burnout and psychological distress were assessed with the Copenhagen Burnout Inventory (CBI) and the Brief Symptom Inventory (BSI-18). A newly developed self-reporting questionnaire was used to evaluate demographic data and pandemic-associated stress factors.
Results: 252 general practitioners and 229 private practice physicians provided sufficient responses to the outcome variables for analysis. The prevalence of clinically relevant psychological distress was comparable between groups (12.4 vs. 9.2%). A larger proportion of general practitioners than specialists had intermediate or high burnout without reaching statistical significance for either category. When combining study participants with intermediate and high levels of burnout, the group difference attained significance (70.7 % vs. 61.9%). Being single, financial problems, and facing violence in patient care were identified as significant predictors of burnout and psychological distress. Furthermore, burnout was predicted by stigmatization because of treatment of SARS-CoV-2-positive patients and by longer working hours during the pandemic.
Conclusion: Our findings provide evidence that practicing physicians are at high risk of burnout in the context of the pandemic. As physician burnout impairs performance and quality of professional services with consequences for physicians, healthcare organizations, and patient outcomes, health systems are prompted to prioritize physicians’ health and well-being directly.
16:35 Uhr
P-01-14: Inhibitionstheorie: Die Entwicklung von Glück und Lebenszufriedenheit nach einschneidenden Lebensereignissen (Querschnittlähmung)
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Autor:innen:
L. Fricke (Witten , DE)
A. Wehling (Witten , DE)
T. Esch (Witten/Herdecke, DE)
Studien und Praxiserfahrung zeigen, dass schwerwiegende Unfälle, neben den körperlichen Beeinträchtigungen die Notwendigkeit der Anpassung /Neuorganisation von Lebensbedingungen bedeuten. Neurobiologische Modelle des Erlebens von Glück und Zufriedenheit postulieren, dass sogenannte Life Shocks ein verstärktes Erleben von Glück und Zufriedenheit ermöglichen können: Posttraumatisches Wachstum (PTG).
Ziel des Projekts ist es, Prozesse einer auf Wachstum nach dem Trauma ausgerichteten Verarbeitung besser zu verstehen sowie die Auswirkungen auf Veränderungen im Erleben von Glück und Lebenszufriedenheit aufzuzeigen. Hierzu wurde in Anlehnung an Eschs (2022) ABC-Modell ein Leitfaden zur Erhebung von Veränderungen der Präferenzen von Glück und Zufriedenheit, sowie ein Modell der schematischen Entwicklung von PTG entwickelt.
In zwei Interviewrunden wurden Teilnehmer mit erworbener Querschnittslähmung zu ihrem Erleben des einschneidenden Lebensereignisses befragt. Der Fokus der narrativen, leitfadengestützten Interviews (N=28) lag auf dem Erleben der Zeit vor und nach dem Unfall, die Verfügbarkeit hilfreicher Ressourcen, sowie der veränderten Wahrnehmung von Glück und Zufriedenheit. Die qualitative Analyse nach Grounded Theory ergab, dass nach einer initialen Reorientierungsphase eine sukzessive Neuausrichtung und Neuorientierung innerhalb einer neuen, reduzierten Auswahl von Möglichkeiten stattfand. Teilnehmer erlebten im Rollstuhl eine Art ‚erzwungene‘ Entschleunigung und Achtsamkeit, die es ermöglichte selbst trivialen Selbstverständlichkeiten des Lebens mit Wertschätzung und Freude zu begegnen. Die Beziehung zu sich und anderen wurde intensiver wahrgenommen, und Alltagsirritationen verloren –in Relation zum Trauma- ihre Relevanz, trotz körperlichen Einschränkungen und Schwierigkeiten.
Abschließend lässt sich sagen, dass PTG nach einschneidenden Lebensereignissen erlebt werden kann und das Leben der Betroffenen auf ungeahnte aber auch anspruchsvolle Weisen bereichert. PTG scheint kein trennscharfes Konstrukt, sondern ein Spektrum zu sein, ein Wechselspiel aus internalen und externalen Ressourcen sowie neurobiologischen Prozessen. Teilnehmer erlebten PTG unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstatus, Einkommen oder Bildung.
16:40 Uhr
P-01-15: Die Beziehung zwischen der Trauer vor dem Verlust, dem Vorbereitetsein auf den Tod und die Pflege, und der psychischen Gesundheit von Angehörigen von Menschen mit einer Krebserkrankung
V. Schmidt (Leipzig, DE)
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Autor:innen:
V. Schmidt (Leipzig, DE)
J. Kaiser (Leipzig, DE)
J. Treml (Leipzig, DE)
A. Kersting (Leipzig, DE)
Einleitung
Weltweit sterben jährlich nahezu 10 Millionen Menschen an einer Krebserkrankung. Die Zeit zwischen Diagnosestellung und dem Verlust der erkrankten Person kann Angehörigen die Chance geben, sich auf die Pflege der erkrankten Person bzw. deren Tod und die Zeit danach vorzubereiten. Diese Zeit wurde als preparedness for caregiving (Vorbereitetsein auf die Pflege) bzw. preparedness for death (Vorbereitetsein auf den Verlust) oder als pre-loss grief (Trauer vor dem Verlust) operationalisiert. Ziel dieser Studie war es, die Beziehungen zwischen der Trauer vor dem Verlust, dem Vorbereitetsein auf den Tod und dem Vorbereitetsein auf die Pflege und verschiedenen psychologischen Gesundheitsvariablen bei Angehörigen von Menschen mit einer Krebserkrankung zu untersuchen.
Methodik
Daten stammen aus einer querschnittlichen Onlineumfrage mit 299 Teilnehmern. Die Teilnehmer wurden eingeschlossen, wenn sie Angehörige von Menschen mit einer Krebserkrankung waren, Deutsch sprachen und mindestens 18 Jahre alt waren. Es wurde eine multivariate Regressionsanalyse durchgeführt.
Ergebnisse
Trauer vor dem Verlust war signifikant mit Depression (β=.388, p < .001), Angst (β=.429, p < .001), Somatisierung (β=.221, p < .001) und Lebenszufriedenheit (β=-.205, p < .001) assoziiert. Darüber hinaus war Vorbereitetsein auf den Tod signifikant mit Somatisierung (β=-.247, p < .001) assoziiert.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit hoher Trauer vor dem Verlust und niedrigem Vorbereitetsein auf den Tod eine frühzeitige Unterstützung benötigen. Interventionen sollten sich mit der Trauer vor dem Verlust und den verschiedenen Aspekten der Vorbereitung auf den Tod befassen und die psychische Gesundheit der Angehörigen von Menschen mit einer Krebserkrankung berücksichtigen. Zukünftige Studien sollten zugrundeliegende Mechanismen zwischen den Variablen weiter erforschen.
16:45 Uhr
P-01-16: Prävalenz und Diagnosealgorithmen der anhaltenden Trauerstörung nach DSM-5-TR und ICD-11
J. Treml (Leipzig, DE)
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Autor:innen:
J. Treml (Leipzig, DE)
K. Linde (Leipzig, DE)
E. Brähler (Leipzig, DE)
A. Kersting (Leipzig, DE)
Einleitung
Die anhaltende Trauerstörung (ATS) wurde als neue Diagnose in die Klassifikationssysteme ICD-11 und DSM-5-TR aufgenommen. Allerdings unterscheiden sich die Kriterien und der diagnostische Algorithmus beider Klassifikationssysteme. Um eine Pathologisierung normaler Trauer und Überschätzung der Prävalenz der ATS zu vermeiden, ist die Bestimmung der optimalen Diagnoseschwelle wichtig. Ziel der Studie war es, die Prävalenz der ATS und Häufigkeit der Symptome zu bestimmen und die diagnostische Übereinstimmung zwischen ICD-11 und DSM-5-TR-Kriterien zu prüfen. Zudem sollte ermittelt werden, welcher ICD-11-Algorithmus bei Variation der Anzahl erforderlicher Begleitsymptome für eine ATS-Diagnose die größte Übereinstimmung mit dem DSM-5-TR-Algorithmus aufweist.
Methodik
Untersucht wurde eine repräsentative Stichprobe der deutschen Allgemeinbevölkerung (N = 2.509), von denen n=1.071 Personen angaben, eine nahestehende Person verloren zu haben. Die ATS-Symptome wurden mit dem Traumatic Grief Inventory – Self Report plus (TGI-SR+) gemessen.
Ergebnisse
Die Punktprävalenz der ATS unter den Hinterbliebenen schwankte zwischen 4.7% - 6.8%, je nach angewandter Kriterien und Algorithmen. Die Prävalenz der ATS nach DSM-5-TR war signifikant geringer als die Prävalenz der ATS nach ICD-11. Die diagnostische Übereinstimmung zwischen beiden Kriteriensätzen war mit κ = 0,75 hoch und nahm zu, nachdem die Anzahl der notwendigen Begleitsymptome für ATSICD-11 von eins auf drei erhöht wurde (κ = 0,79). Die häufigsten Symptome waren aufdringliche Gedanken/Bilder in Bezug auf die verstorbene Person (30,7 %), gefolgt von Sehnsucht nach der verstorbenen Person (23,4 %) und Schwierigkeiten, den Verlust zu akzeptieren (23,3 %).
Schlussfolgerung
Die ATS betrifft einen erheblichen Anteil der Allgemeinbevölkerung, jedoch könnte die Anwendung der Minimalkriterien der ICD-11 zu einer Überschätzung führen. Eine Vereinheitlichung der Diagnosealgorithmen und Kriterien erscheint daher sinnvoll.