Raum:
Saal London 1
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 18: Stimulationsverfahren, internetbasierte Interventionen und andere psychiatrische Therapieformen
Format:
Sitzung Freier Vorträge
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
08:30 Uhr
Digitale Versorgung von Menschen mit psychischen Beschwerden – 3 Jahre DiGA: Analyse des DiGA-Verzeichnisses
A. Zimmer (Hamburg, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
A. Zimmer (Hamburg, DE)
M. Guth (DE)
D. Ebert (DE)
E. Heber (Berlin, DE)
A. Etzelmüller (DE)
Einleitung Zahlreiche internationale Studien bestätigen die Wirksamkeit digitaler Interventionen bei psychischen Beschwerden. Deutschland nimmt mit der Verschreibung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) seit fast 3 Jahren eine führende Position ein. Umfragen bei Behandler:innen zeigen eine hohe Zufriedenheit und Bereitschaft, DiGA zu nutzen und empfehlen. Die Verschreibungszahlen zeigen aber, dass das volle Potenzial dieser Versorgungsform noch nicht vollends ausgeschöpft wird.
Methoden Diese Analyse des DiGA-Verzeichnisses untersucht die Hauptmerkmale und Evidenz von DiGA im Bereich Psyche und setzt die Erkenntnisse in den Kontext nationaler und internationaler Forschung zur Wirksamkeit und Implementierung digitaler Interventionen.
Ergebnisse Das DiGA-Verzeichnis führt aktuell (Juni 2023) 26 DiGA im Bereich Psyche (12 dauerhaft, 14 vorläufig) für verschiedene Indikationen auf: 7 für Depression, 6 für Angststörungen, 3 für Abhängigkeit, jeweils 2 für Schlafstörungen, Essstörungen und Chronische Schmerzen, 4 bei anderen (Burnout, Borderline, Vaginismus, kogn. Beeinträchtigung). Alle DiGA müssen in einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht werden, die den positiven Versorgungseffekt nachweist. Die diagnose- und DiGA-spezifischen Effektgrößen zur Wirksamkeit reichen gemäß der Konvention Cohen’s von klein bis groß und entsprechen der wissenschaftlichen Evidenzlage zur Wirksamkeit und Implementierung digitaler Interventionen.
Schlussfolgerung Hersteller digitaler Interventionen müssen zur Zulassung als DiGA neben einer Vielzahl an Qualitätskriterien auch die Wirksamkeit nachweisen. Die Kenntnis zur Evidenz ist ein wichtiger Faktor für die Verschreibung und kann die Akzeptanz bei und Nutzung durch Behandler:innen fördern. Diese zusammenfassende Darstellung der verfügbaren Informationen zu DiGA und deren Evidenz, eingebettet in den aktuellen wissenschaftlichen Kontext, leistet daher einen bedeutenden Beitrag zur Implementierung dieser Versorgung
08:42 Uhr
Digitale Gesundheitsanwendungen für Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen: Potential, Risiken und Herausforderungen im deutschen Gesundheitssystem
S. Kohl (Berlin, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
S. Kohl (Berlin, DE)
A. Henn (DE)
J. Fendel (DE)
A. Luttermann (DE)
B. van Noort (DE)
K. Konrad (DE)
Das digitale Versorgungsgesetz lieferte Deutschland eine wichtige rechtliche Grundlage, evidenzbasierte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zu entwickeln. Gleichzeitig herrscht in Deutschland eine Unterversorgungssituation psychischer Störungen, wovon Kinder und Jugendliche, verstärkt durch die Corona-Pandemie, besonders betroffen sind. Durch ihre Skalierbarkeit und weite Verfügbarkeit stellen DiGAs eine Möglichkeit dar, neue zusätzliche therapeutische Angebote zu schaffen, um auf diese Situation zu reagieren. Obwohl immer mehr DiGAs für Erwachsene zugelassen werden, gibt es bisher keine speziell für Kinder und/oder Jugendliche mit psychischen Störungen zugelassene DiGA. Dieser Umstand resultiert u.a. aus den spezifischen Herausforderungen und Risiken bei der Entwicklung und Nutzung digitaler Anwendungen für diese besonders schutzbedürftige Zielgruppe:
(1) Die Gestaltung von DiGAs in einer so ansprechenden Art und Weise, dass sie den hohen Anforderungen dieser Zielgruppe (‘digital-natives’) entsprechen und gleichzeitig die spezifischen Risiken und Schwierigkeiten bei der App-Nutzung berücksichtigen.
(2) Eine geringere Verfügbarkeit an Evidenz zur Wirksamkeit digitaler Intervention.
(3) Eine höhere Komplexität bei der Planung und Durchführung von klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen, z.B. in Bezug auf Studiendesigns, Rekrutierung und eine Vielzahl spezifischer regulatorischer Anforderungen.
(4) Dadurch haben Wissenschaftler:innen und Herstellende einen geringeren Anreiz, Studien in diesem Bereich durchzuführen sowie neue Anwendungen zu entwickeln und diese durch das sich entwickelnde Zulassungsverfahren zu bringen, das den besonderen Erfordernissen der Forschung mit Kindern und Jugendlichen gerecht werden muss.
Dieser Beitrag soll die aktuelle digitale psychotherapeutische Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland beleuchten, Potentiale, Risiken und Herausforderungen diskutieren und Impulse für mögliche Lösungsansätze geben.
08:54 Uhr
Virtuelle Realität in der Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen: die wichtigsten Ergebnisse unseres systematischen Reviews
N. Braun (Bonn, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
N. Braun (Bonn, DE)
A. Wiebe (DE)
B. Selaskowski (DE)
K. Kannen (DE)
L. Asché (DE)
J. Pakos (DE)
S. Lux (DE)
A. Philipsen (DE)
Einführung: Angesichts der zunehmenden Rolle von Virtual Reality (VR) Anwendungen in der Diagnostik, Charakterisierung und Behandlung psychischer Störungen hat unsere Arbeitsgruppe kürzlich den aktuellen Stand dieser Anwendungen systematisch in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst (DOI: 10.1016/j.cpr.2022.102213). In diesem Vortrag präsentieren wir die wichtigsten Studien und Ergebnisse dieser Übersichtsarbeit.
Methoden: Es wurde eine systematische Literaturrecherche zu 13 verschiedenen psychischen Störungsbereichen durchgeführt. Um in den Review aufgenommen zu werden, mussten die Studien einer Begutachtung unterzogen worden sein, Originalforschungsdaten enthalten, in englischer Sprache veröffentlicht worden sein, einen VR-Bezug aufweisen und sich mit einem der 13 Störungsbereiche befassen. Zu jeder Studie wurden verschiedene Studienmerkmale (u.a. Studiendesigns, Interventionen und Bedingungen, Vergleichsgruppen und Hauptergebnisse) ermittelt und eine risk-of-bias Analyse durchgeführt.
Ergebnisse: Insgesamt wurden k = 9315 Studien gesichtet, von denen k = 721 Studien in den Review aufgenommen wurden. Von diesen inkludierten Studien wurden 43,97 % als Assessment-bezogen, 55,48 % als Therapie-bezogen und 0,55 % als gemischt eingestuft. Die höchste Forschungsaktivität wurde in den Bereichen Angststörungen, PTBS und Suchterkrankungen für die VR-Expositionstherapie festgestellt, für deren Wirksamkeit bisher die überzeugendsten Belege vorliegen. Zusätzlich wurde eine hohe Aktivität bzgl. verschiedener VR-Anwendungen zur Behandlung sozialer Fähigkeiten bei Autismus-Spektrum-Störungen sowie zum kognitiven Training bei Demenz gefunden.
Schlussfolgerung: Während die VR-Expositionstherapie vermutlich bald ihren Weg in die reguläre Patientenversorgung finden wird, gibt es viele weitere vielversprechende Ansätze, von denen jedoch die meisten noch nicht hinreichend entwickelt sind, um in der klinischen Anwendung eingesetzt werden zu können.
09:06 Uhr
Bottom-up-Entwicklung einer kulturell angepassten internetbasierten Selbsthilfeintervention zur Behandlung von anhaltender Trauer bei syrischen Geflüchteten in der Schweiz
A. Aeschlimann (Zürich, CH)
Details anzeigen
Autor:innen:
A. Aeschlimann (Zürich, CH)
E. Heim (CH)
C. Killikelly (Vancouver, CA)
N. Buser (Zürich, CH)
A. Hoxha (Zürich, CH)
V. Triantafyllidou (Zürich, CH)
A. Maercker (Zürich, CH)
Background: Loss and grief pose significant challenges for victims of armed conflicts, such as Syrian refugees, leading to a high prevalence of prolonged grief disorder (PGD). Internet-based interventions (IBIs) are a promising solution for addressing the treatment gap. However, research on PGD, its treatment, and culturally adapted IBIs for grief is limited to Western cultural contexts. Cultural adaptation involves aligning materials and methods with the target population (surface adaptation) and considering cultural concepts of distress (CCD; deep structure adaptation). Objective: Following the RECAPT framework proposed by Heim et al., this study aimed to (1) develop and (2) further adapt a culturally adapted IBI for PGD among Syrian refugees in Switzerland. Method: This study used qualitative methods. Firstly, formative research was conducted to develop an initial version of the intervention. This included semi-structured interviews with 10 experts focusing on the necessary cultural adaptations (target populations CCDs, surface adaptation elements and treatment elements). Next, the first version of the intervention was presented to potential users (N=6) and experts (N=3) to collect feedback on the further necessary cultural adaptations in two iterative feedback rounds. First in the form of a semi-structured interview using a "paper-version" of the intervention, secondly employing the walk-through think aloud protocol with a beta-version of the intervention. Data was analyzed using framework analysis. Results: The involvement of various key informants at different stages of the development resulted in valuable feedback concerning surface and deep structure adaptation, which might contribute to treatment adherence, acceptance, and motivation. Conclusion: These findings offer valuable insights and recommendations for cultural adaptation of interventions, and potentially help to address the treatment gap for prolonged grief disorder (PGD) among Syrian refugees.
09:18 Uhr
Online-Selbsthilfe ist wirksam gegen problematisches Glücksspiel: Ergebnisse einer randomisiert-kontrollierten Studie
L. Rolvien (Hamburg, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
L. Rolvien (Hamburg, DE)
L. Buddeberg (Hamburg, DE)
J. Gehlenborg (Hamburg, DE)
S. Borsutzky (Hamburg, DE)
S. Moritz (Hamburg, DE)
Eine vielversprechende Möglichkeit bestehende Behandlungslücken zu verringern, ist der Einsatz von internetbasierten Behandlungsprogrammen, deren Wirksamkeit bei Störungen wie Angsterkrankungen und Depressionen bereits vielfach nachgewiesen wurde. Obwohl es auch Belege dafür gibt, dass internetbasierte Interventionen bei der Verringerung von problematischem und pathologischem Glücksspielverhalten hilfreich sein können, sind die Ergebnisse hier weniger eindeutig. Um die noch nicht eindeutige Studienlage zu adressieren, führten wir eine Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit, Akzeptanz und Nebenwirkungen eines Online-Selbsthilfeprogramms („Neustart“; www.neustart-spielerhilfe.de) zur Behandlung von Glücksspielproblemen mit 243 Proband:innen durch. Bei einer guten Wiedererreichungsquote von 79% nach 6 Wochen zeigte sich ein signifikanter Rückgang des Glücksspielverhaltens (PG-YBOCS, SOGS), der glücksspielspezifischen Denkverzerrungen (GABS) sowie eine signifikante Verbesserung der Depressivität (PHQ-9) im Vergleich zur Kontrollgruppe (treatment-as-usual) über die Zeit mit bis zu großen Effektstärken (ηp2 = .038 – .173). Neben den Hauptergebnissen zur Wirksamkeit werden Ergebnisse zur subjektiven Akzeptanz und zu Nebenwirkungen dargestellt.
09:30 Uhr
Gamifizierte Augmented Reality Apps bei Phobien – die nächste Evolutionsstufe im Rahmen der Konfrontationstherapie?
W. Trapp (Bamberg, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
W. Trapp (Bamberg, DE)
S. Röder (Bamberg, DE)
F. Wimmer (Bamberg, DE)
G. Hajak (Bamberg, DE)
Die aktualisierte S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen empfiehlt Virtuelle-Realität-Expositionstherapie (VRE) bei sozialen und spezifischen Phobien, da die Effektstärken mit denen der In-vivo-Expositionstherapie vergleichbar sind.
Es werden erste Ergebnisse aus einer laufenden Multiple – Baseline – Studie berichtet, in der untersucht wird, ob sich die Wirkung einer Angstexposition bei Menschen mit phobischen Störungen verstärken lässt, wenn während der Exposition eine gamifizierte AR-Aufgabe absolviert werden muss. Dabei wird wahlweise entweder eine VR-Brille der neuesten Generation, welche auch die reale Umgebung sichtbar machen kann (Pass-Through Technologie) oder ein handelsübliches Smartphone genutzt.
Die Teilnehmer*innen begeben sich an fünf Terminen in ihre individuelle Angstsituation, wobei pseudorandomisiert entweder am zweiten, dritten oder vierten Termin die AR-Task durchgeführt wird.
Erste Ergebnisse zeigen, dass es während der AR – unterstützten Exposition zu einem signifikanten Rückgang der Angstsymptomatik mit hoher Effektstärke kommt, welcher auch über die nachfolgenden Termine stabil bleibt.
Dies spricht dafür, dass durch die AR-unterstützte Expositionstherapie der auf Inhibitionslernen beruhende Effekt bei der In-vivo-Expositionstherapie verstärkt werden könnte.