11:15 Uhr
Impfstrategien und Impfziele in Europa: ein Überblick
O. Wichmann (Berlin, DE)
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O. Wichmann (Berlin, DE)
Für die Erarbeitung von Impfstrategien und -empfehlungen gibt es im System der Weltgesundheitsorganisation (WHO) drei Ebenen, die aufeinander aufbauen: Eine Strategic Advisory Group of Experts on Immunization (SAGE) erarbeitet auf Basis der jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnislage globale Empfehlungen, die von sog. Regional Technical Advisory Groups (RTAGs, in Europa ETAGE) ggf. regional angepasst werden. Auf Ebene der Mitgliedstaaten sind nationale Impfkommissionen (NITAGs, in Deutschland die STIKO) für das Aussprechen von Impfempfehlungen zuständig und können sich dabei an den Empfehlungen von WHO/SAGE bzw. WHO/RTAGs orientieren. Über den Stand sowie Umsetzung und Effekte nationaler Impfempfehlungen berichten Mitgliedstaaten der WHO einmal jährlich; mittels WHO/UNICEF Joint Reporting Form (JRF) werden Anzahl von Meldefällen und Ausbrüchen impfpräventabler Erkrankungen, Impfquoten und weitere Indikatoren zur Bewertung nationaler Impfprogramme erhoben. In Deutschland führt das RKI diese Daten zusammen und übermittelt sie an die WHO.
Die European Immunization Agenda 2030 (EIA2030) ist eine Strategie, die von allen Mitgliedstaaten in der Region angenommen und im September 2021 vom WHO Regionalkomitee für Europa verabschiedet wurde. Für die Umsetzung hat die WHO einen operationalen Rahmen mit Aktivitäten zum Erreichen der in der Agenda ausgeführten Vision und Ziele (optimalerweise integriert in Nationalen Impfplänen oder Aktionsplänen) sowie einen Prozess zum Monitoring und Evaluation (M&E) entwickelt. Zu den Zielen der europäischen Impfagenda gehören unter anderem: (i) die Kontrolle bzw. Elimination bestimmter Erkrankungen (Polio, Masern/Röteln, Hepatitis B, HPV), (ii) eine Reduzierung von Ausbrüchen impfpräventabler Erkrankungen, (iii) gleichberechtigter Zugang zu Impfungen (d.h. >90% der Landkreise in einem Mitgliedstaat erreichen eine DTP3-Impfquote von mindestens 95%) sowie (iv) Impfangebote für alle Altersgruppen (mit Zielimpfquoten für die dritte DTP-, zweite Masern-, und dritte Pneumokokken-Konjugat-Impfung sowie komplette HPV-Impfserie). Darüber hinaus setzt die Agenda verschiedene strategische Prioritäten, die in den Mitgliedstaaten berücksichtigt sein sollten (z.B. die Existenz funktionaler NITAGs, qualitativ hochwertige Meldesysteme für impfpräventable Erkrankungen und Impfnebenwirkungen oder auch die Nutzung von Daten und zielgruppen-spezifischen Ansätzen, um Impflücken in allen Altersgruppen und Communities zu reduzieren). Für den M&E-Prozess werden vornehmlich Daten herangezogen, die jährlich über den WHO/UNICEF-JRF erhoben, vom Regionalbüro der WHO zusammengeführt und ausgewertet und u.a. der ETAGE vorgestellt werden. 2023 wurde der M&E-Prozess begonnen. Darauf aufbauend konnte erstmals ein Bericht zum Stand der Umsetzung der EIA2030 erstellt werden.
11:45 Uhr
Impfsituation und Surveillance in Deutschland im internationalen Vergleich
K. Stöhr (Zürich, CH)
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K. Stöhr (Zürich, CH)
Für den Erfolg von Impfprogrammen ist nicht nur das Zusammenspiel von stabiler Beschaffung und guter Impfinfrastruktur ausreichend. Darüber hinaus sind eine stabile Impfstoffqualität, zuverlässige Krankheitsüberwachung, Impfunterstützung/-befürwortung durch die verschiedensten Teilnehmer am nationalen Impfprogramm , eine zielgerichtete Kommunikation nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der fachlich beteiligten Ebenen und eine erfolgreiche soziale Mobilisierung entscheidend. Die kluge Kombination dieser Komponenten ist die Voraussetzung die hauptsächlichen Gründe gegen das Impfen zu überwinden: mangelndes Vertrauen in Impfstoff und Gesundheitswesen, verschobene Risikowahrnehmung, hohe logistische Hürden, fehlende aktive Informationssuche und mangelndes Verantwortungsgefühl. Laut Umfragen gab es in Deutschland vor der Pandemie ein hohes gesellschaftliches Verantwortungsgefühl und Vertrauen in die Wirksamkeit von Impfstoffen bei gleichzeitig gefühlt hohen logistischen Hürden und einem gewissen Impf-Desinteresse in der Bevölkerung. Nach der Pandemie hat offensichtlich die Impfmüdigkeit zugenommen und die nationalen Impfprogramme stehen auch in D vor der doppelten Herausforderung sowohl die Impfrate bei den Routineimpfungen zu verbessern als auch sicherzustellen, dass die bis dato unter- oder ungeimpften Kinder und jungen Erwachsenen die verpassten Dosen nachholen.
12:15 Uhr
Masernimpfpflicht - Praktische Erfahrungen bei der Umsetzung des Masernschutzgesetzes
N. Schmid-Küpke (Berlin, DE)
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N. Schmid-Küpke (Berlin, DE)
Seit März 2020 gilt in Deutschland das Masernschutzgesetz (MSG). Der Nachweis einer Masernimmunität ist für alle Kinder und Jugendliche verpflichtend, die z. B. in Kindertagesstätten, Schulen oder Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden und gilt in diesen sowie medizinischen Einrichtungen auch für Beschäftigte. Für bereits Beschäftigte bzw. Betreute galt eine sogenannte Übergangsfrist, die den Nachweis der Immunität erst zu einem späteren Zeitpunkt verpflichtend machte. Das Masernschutzgesetz wurde eingeführt, weil es in den Vorjahren nicht gelungen war, die Masernelimination in Deutschland zu erreichen. Erfolge mit Aufklärungsmaßnahmen wie Kampagnen zur Steigerung der Masern-Impfquoten waren begrenzt.
Seit seiner Einführung evaluiert das Robert Koch-Institut (RKI) das Masernschutzgesetz. Die Evaluation basiert auf einem multi-methoden Ansatz. So wird unter anderem durch quantitative und qualitative Befragungsmethoden sowohl die Perspektive der Gesundheitsämter zur Umsetzung des Gesetzes als auch die Perspektive der Eltern als Impfentscheider für ihre Kinder in die Evaluation einbezogen.
In dem Vortrag werden Ergebnisse aus leitfadengestützten qualitativen Interviews mit Gesundheitsämtern vorgestellt, die zweieinhalb Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes und wenige Monate nach Ablauf der Übergangsfrist geführt wurden. Der Vortrag gibt ein Update über die Wahrnehmungen und Erfahrungen zur Umsetzung des Masernschutzgesetzes aus Sicht der betroffenen Zielgruppen. Er gewährt unter anderem Einblicke in die Herausforderungen, die Gesundheitsämter bei der Umsetzung erlebt haben und wie diese den Sinn und die Effektivität der Impfpflicht mittlerweile einschätzen. Die Ergebnisse werden anschließend im Kontext der Gesamtevaluation des Masernschutzgesetzes diskutiert.