Autor:in:
G. Gosch (Magdeburg, DE)
Deutschland weist im Bundeslandvergleich in allen Altergruppen ausgesprochen differente Impfquoten auf. Nationale und internationale Vorgaben für Impfquoten bleiben dabei weitgehend unerfüllt, im internationalen Impfquotenvergleich belegt Deutschland allenfalls mittlere Plätze, in einem aktuellen Vergleich der Impfsysteme von 42 Ländern (Country Vaccination Score) den letzten Platz. Bei der Inanspruchnahme aller Impfungen existieren erhebliche regionale Unterschiede. In Deutschland existiert kein nationales Impfprogramm, dafür 16 bundeslanddifferente Impfpläne, deren Umsetzung bis zur unkomplizierten Impfung i.W. in der ambulanten Medizin zwar wissenschaftlich basierten Vorgaben folgt, indes vorrangig von ökonomischen Überlegungen abhängig ist. Deutschland verfügt wie 140 von 195 Länder der Welt mit der STIKO über eine WHO-orientierte National Immunization Technical Advisory Group (NITAG), die jährlich populationsorientierte Impfempfehlungen publiziert, die als medizinischer Standard gelten. Dabei fokussiert die STIKO mittels einer komplexen SOP zu Ungunsten häufig langjährig verfügbarer Real Word Evidence auf den engen Rahmen von RCTs, was ausnahmsweise der COVID-Impfempfehlungen häufig eine mehrjährige Zeitdauer zwischen Verfügbarkeit zugelassener Impfstoffe und deren umfassenden Einsatz zu Lasten der GKV zur Folge hat. Die Umsetzung der STIKO-Expertise bis zur Implementierung in die Schutzimpfungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss als Voraussetzung der Finanzierung der Impfungen zu Lasten der GKV folgt einem wenig transparenten Entscheidungsprozess des G-BA, den ökonomische Interessen dominieren.
Die höchsten Impfraten sind bei nahezu allen Routineimpfungen mit großer Konstanz für die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern dokumentiert, die niedrigsten für Baden-Württemberg und Bayern.
Standardimpfungen für Kinder werden nicht zeitgerecht durchgeführt; für hexavalente und Pneumokokkenimpfungen sind zum Ende des 2. Lebensjahres Defizite von ca. 20 % dokumentiert, die sich bis zur Einschulung auf ca. 10% verkürzen. Das Masernschutzgesetz hat zu einer - noch immer unzureichenden - Zunahme der Masernimpfquoten geführt, bietet aber Impfunwilligen Schlupflöcher.
Anders als in anderen Staaten wird die Impfung gegen Meningokokken vom Typ B, für die seit vielen Jahren Real World Evidence existiert, durch die STIKO erst seit Januar 2024 als Standardimpfung empfohlen. Indes ist bislang die unkomplizierte, GKV-finanzierte MenB-Impfung
mangels G-BA-Beschluss bis heute nicht umsetzbar.
Völlig unbefriedigend sind die HPV-Impfquoten, die Quoten für die Influenza-Standardimpfung für Senioren und die der Indikationsimpfung gegen Pneumokokken für chronisch Erkrankte.
Insgesamt ist im Zusammenhang mit einer unzureichend umgesetzten Impfprävention trotz Verfügbarkeit effektiv wirksamer Impfstoffe eine hohe Zahl von Personen in Deutschland einer vermeidbaren Infektions- und Komplikationsgefahr ausgesetzt.
Die Datenerfassung im Bereich der Impfprävention ist lückenhaft, fehlerbehaftet und deckt nur wenige Altersgruppen ab. Weder der Impfstatus noch Daten über durchgeführte Schutzimpfungen werden flächendeckend und für alle Altersgruppen systematisch erfasst. Es existieren weder ein digitales Impfregister noch ein digitaler Impfnachweis. Zur Erfassung der Impfquoten werden Teilstichproben oder Querschnittsuntersuchungen (KV-Impfsurveillance, Erfassung des Impfstatus einzuschulender Kinder) herangezogen. In wenigen Bundesländern existieren landesrechtliche Vorgaben für die Datenerfassung verabfolgter Schutzimpfungen an Kinder bis zum siebenten Lebensjahr; die - eine datenrechtliche Genehmigung seitens der Bezugspersonen vorausgesetzt - in Papierform bzw. per Fax an die Gesundheitsämter übermittelt werden.
Aktuelle Veröffentlichungen lassen einen Rückgang der Impfquoten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie vermuten. Beispielsweise wird der Einbruch bei der vollständigen HPV-Standardimpfung bei weiblichen Jugendlichen - eine illusorische 10% höhere Impfquote vorausgesetzt - frühestens 2028/29 kompensiert sein. Das RKI wird anders als in den Vorjahren für die Jahre 2022 und 2023 Impfquoten erst Ende 2024 veröffentlichen.
Für den Rückgang der Impfquoten während der Pandemie dürften nicht nur temporäre und regional differente Einschränkungen des Zugangs zu Impfungen während der Lockdowns verantwortlich sein, sondern im Zusammenhang mit der teilweise als suppressiv verstandenen Kommunikation sowohl von Impfungen als auch von nichtpharmazeutischen Interventionsmaßnahmen zum Teil ohne wissenschaftliche Evidenz und rechtliche Grundlage eine zunehmende Impfmüdigkeit.
Notwendig für die nachhaltige Erhöhung der Impfquoten mit dem Ziel der Verringerung der Krankheitslast und der Reduktion assoziierter ökonomischer Belastungen sind einerseits strukturelle Veränderungen wie die Einführung eines nationalen Impfprogramms mit einem einheitlichen bundesdeutschen Impfplan und einheitlichen marktangepassten Vergütungsregelungen, die Einführung eines digitalen Impfregisters und eines unkompliziert handhabbaren elektronisches Impfausweises. Die Zeitdauer zwischen der Zulassung von Impfstoffen bis zur Umsetzung von Impfungen zu Lasten der GKV muss deutlich verkürzt werden; sinnvoll wäre die breitere Einbeziehung von Real Word Evidence in die Erarbeitung der Impfempfehlungen, die Reduktion bürokratischer Hemmnisse und eine angepasste Preispolitik von Herstellern und Krankenversicherungen. Neben niedrigschwelligen Impfangeboten wie beispielsweise School based Vaccination müssen Strategien zur Reduktion von Impfunwilligkeit bis -ablehnung vor allem auf eine offene, auf wissenschaftlicher Evidenz basierende, nicht suppressive Kommunikation impfmedizinischer Inhalt abstellen. Nicht zuletzt muss Impfungen als effektivstem Mittel der Krankheitsprävention deutlich mehr Raum in der Gesundheitserziehung, in Aus- und Weiterbildung und Lehre eingeräumt werden.