Hintergrund: Systemische Opioide werden seit Jahrzehnten zur Wehenanalgesie eingesetzt. Ihre Wirkungen und Nebenwirkungen sind regelmäßig Bestandteil von Untersuchungen und Diskussionen. Als gesichert gilt, dass systemische Opioide mit ungenügender Schmerzbekämpfung und hoher Nebenwirkungsrate einhergehen. Wechselwirkungen mit weiteren Medikamenten werden wenig thematisiert. Aktuell empfiehlt die S3-Leitline „Vaginale Geburt am Termin“ Opioide nur überbrückend einzusetzen, bzw. Remifentanil zu nutzen. Die Anwendung von Opioiden als vorbehaltene ärztliche Tätigkeit wird subpartu regelmäßig an Hebammen delegiert. Lt. Kompetenzprofil des DHV verfügen Hebammen über Fachwissen in Pharmakologie. Die Hebamme muss mit Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Dosierung, Verabreichungsweg des Medikaments vertraut sein. Zur Wehenanalgesie mit Opioiden zeigt sich in kollegialen Gesprächen ein geteiltes, mehr durch subjektive Erfahrung als durch Evidenz geprägtes Wissensbild.
Ziel: Darstellung der aktuellen Evidenz zu Nutzen und Risiko von Opioiden subpartu, um für Hebammen vorhandenes Wissen zu aktualisieren und zu ergänzen.
Methode: Systematische Datenbankrecherchen im Mai 2021.
Ergebnis: Opioide sind zur Wehenanalgesie kaum geeignet. Die Schmerzintensität am Wehenhöhepunkt erfordert hohe Dosierungen, die in Wehenpausen zu Sedierung und Atemdepression führen. Opioide passieren Plazenta und fetales ZNS und reichern sich mehr im Feten als in der Mutter an. Unterschiedliche Opioidsubstanzen können gemäß ihrer spezifischen Halbwertzeit erwogen und im entsprechenden Abstand vor Geburt eingesetzt werden. Die Schmerzlinderung bleibt meist insuffizient. Pethidin (Dolantin®) wird nicht empfohlen. Seine mehrfach verlängerte fetale Metabolisierung mit Anfall des bis zu 3 Tage wirksamen Metaboliten Norpethidin führt zu langanhaltender kindlicher Sedierung postpartal. Norpethidin kann nicht mit Naloxon antagonisiert werden.
Remifentanil ist stark analgetisch, wird innerhalb von Minuten metabolisiert und kann so bis kurz vor Geburt verwendet werden. Es bietet weniger kindliche Risiken, allerdings ein sehr hohes Risiko für mütterliche Apnoen bei unsachgemäßer Verwendung. Die Anwendung ist an hohe personelle und technische Vorgaben geknüpft.
Weitere Medikationen wie Lachgas, Antiemetika oder Sedativa führen zu einer Verstärkung der Sedierung. Dimenhydrinat (Vomex®) ist plazentagängig und darf wegen Intoxikationsgefahr nicht für Kinder unter 6kg KG angewendet werden. Diazepam (Valium®) und seine aktiven Metabolite passieren die Plazentaschranke und akkumulieren auf fetaler Seite bis zum 3fachen der maternalen Serumkonzentration. Bis 4 Tage postpartum treten ernsthafte kindliche Sedierungen und Nebenwirkungen auf.
Zusammenfassung: Die in der Geburtshilfe üblichen langwirksame Opioide sind zur Linderung von Wehenschmerzen nicht potent genug und führen zu längerfristigen kindlichen Anpassungsproblemen postpartum. Nichtanalgetische Begleitmedikationen wie Dimenhydrinat und Diazepam sedieren Neugeborene ebenfalls längerfristig. Auswirkungen sind Stillprobleme, Hypothermie und Hyperbilirubinämie. Der Einsatz dieser Medikamente im Geburtszeitraum muss wohlüberlegt sein.
Hintergrund
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sowie das erste Lebensjahr eines Kindes stellen eine sensible Lebensphase von Frauen und Familien dar. Eine individuelle und selbstbestimmte Betreuung durch Hebammen und/oder Frauenärzt*innen sowie das Vorhandensein von gesundheitsförderlichen Rahmenbedingungen sind elementar wichtig, um Frauen und ihren Familien einen guten und gesunden Start in diesen neuen Lebensabschnitt zu ermöglichen. Der stetig zunehmende Fachkräftemangel (Stahl, 2016) sowie Schließungen von Geburtshilfeeinrichtungen bei gleichzeitig ansteigenden Geburtenzahlen führen zu Versorgungsengpässen in der geburtshilflichen Betreuung. Anfang 2017 wurde auf Bundesebene das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ definiert (Altgeld et al., 2020). Gesundheitsziele verstehen sich generell als Grundlagenpapiere, deren praktische Umsetzung insbesondere auf Länderebene initiiert wird. Eine Vielzahl von Gutachten erfasste die Ist-Situation der geburtshilflichen Versorgung und gibt Handlungsempfehlungen zur Lösung der aufgedeckten Probleme.
Zielsetzung
Vorstellung des Gesundheitsziels Gesundheit rund um die Geburt unter Bezugnahme auf § 24d&f SGB V und Zusammenfassung von Gutachten auf Länder- und Bundesebene zur Erfassung der Ist-Situation der geburtshilflichen Versorgung und daraus formulierten Handlungsempfehlungen.
Methode
Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt und der aus § 24d&f SGB V abzuleitenden Ansprüche für Schwangere sowie Sichtung von neun Gutachten und einem Enquetebericht auf Länderebene und des Gutachtens des Bundesministeriums für Gesundheit.
Ergebnisse
Das Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt formuliert fünf Teilziele, die für (werdende) Eltern die Voraussetzungen für einen physiologischen Schwangerschaftsverlauf, eine gute Geburt und einen gesunden Start ins Familienleben schaffen sollen. Auf Bundesebene wird das Erreichen dieser Ziele erschwert durch nicht kostendeckend konzipierte Diagnosis Related Groups (DRG) der physiologischen Geburt, unzureichend ausgelegten Stellenplänen für eine 1:1-Betreuung sowie die als nicht angemessen empfundene Bezahlung durch Tarifverträge. In den Gutachten werden Handlungsoptionen vorgestellt, die zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit bei Hebammen und Frauenärzt*innen führen sollen. Arbeitszufriedenheit wird als Grundvoraussetzung für die Bereitschaft zur Erhöhung der Wochenarbeitszeit, eine längere Verweildauer im Beruf bzw. die Motivation für Berufsaussteigerinnen für eine Rückkehr in das klinische Arbeitsumfeld betrachtet.
Zusammenfassung
Das Erreichen der im Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt formulierten Teilziele kann dauerhaft nur gelingen, wenn zunächst die zentralen Hemmnisse (DRG, Stellenplanung, Tarifvertrag) angemessen bearbeitet werden. Ansonsten werden weitere Abteilungsschließungen aufgrund von Finanzierungslücken und Personalmangel erfolgen und alle in den Gutachten empfohlenen Handlungsoptionen zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit können langfristig keine Wirkung zeigen.
Format "Thementisch"
Hintergrund
Anfang 2017 wurde auf Bundesebene das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ definiert (Altgeld et al., 2020). Gesundheitsziele verstehen sich als Grundlagenpapiere, deren praktische Umsetzung insbesondere auf Länderebene initiiert wird. Seit November 2015 gibt es in Niedersachsen Initiativen zur Verbesserung der geburtshilflichen Versorgungssituation. Das Aktionsbündnis „Gesundheit rund um die Geburt“ forderte einen landesweiten Aktionsplan, um den bestehenden Versorgungsengpässen in der geburtshilflichen Betreuung entgegenzuwirken. Zur Erfüllung dieser komplexen Aufgabe wurde im Januar 2022 das Aktionsbüro Gesundheit rund um die Geburt Niedersachsen ins Leben gerufen. Das zunächst auf zwei Jahre befristete Projekt wird vom Land Niedersachsen gefördert und ist unter dem Dach der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. verortet.
Zielsetzung
Einblick in die Entstehungsgeschichte des Aktionsbüros Gesundheit rund um die Geburt in Niedersachsen und Vorstellung der Ziele und Maßnahmenpakete.
Methode
Beschreibung der Umsetzung des nationalen Gesundheitsziels Gesundheit rund um die Geburt im Bundesland Niedersachsen durch das Projekt Aktionsbüro Gesundheit rund um die Geburt in Niedersachsen.
Ergebnisse
Maßgeblich ausgehend vom Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt und den Handlungsempfehlungen des Enquete-Berichtes des Landes Niedersachsen wurde das Projektkonzept für das Aktionsbüro Gesundheit rund um die Geburt in Niedersachsen entwickelt. Hauptziel ist die Stärkung der Geburtshilfe, um zum einen für Eltern eine individuelle und sichere Betreuung und zum anderen Hebammen und Ärzt*innen gute Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Insbesondere durch die Arbeit am Runden Tisch Geburtshilfe unter dem Dach des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wird mit interdisziplinärer Expertise, koordiniert durch das Aktionsbüro, am Erreichen dieser Ziele gearbeitet. Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Fortbildungsangebote des Aktionsbüros unterstützen diesen Prozess. Auf Bundesebene ist es darüber hinaus erforderlich, die Finanzierung der physiologischen Geburt kostendeckend zu gestalten, durch entsprechend konzipierte Stellenpläne die 1:1-Betreuung zu ermöglichen und für eine tarifrechtlich verankerte angemessene Bezahlung zu sorgen. Diese Faktoren sind Grundvoraussetzungen für eine langfristig verbesserte Versorgungssituation sowie die Arbeitszufriedenheit in der Berufsgruppe der Hebammen und Frauenärzt*innen.
Zusammenfassung
Die Arbeit des Aktionsbüros Gesundheit rund um die Geburt in Niedersachsen und das Erreichen der im Gesundheitsziel formulierten Teilziele ist eine gesellschaftlich wichtige, vielfältige und sehr komplexe Aufgabe, deren vollumfängliche Erfüllung in der vorgegebenen Projektlaufzeit allerdings unrealistisch ist. Zudem müssen auf Landesebene ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt und auf Bundesebene zentrale Hemmnisse (DRG, Stellenplanung, Tarifvertrag) angemessen bearbeitet werden, damit die Bemühungen des Aktionsbüros und des Runden Tisches Geburtshilfe langfristig Wirkung zeigen können.
Hintergrund und Zielsetzung:
Eine durch orale Dysbiose beeinträchtigte Mundgesundheit in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für negative Schwangerschaftsoutcomes, wie Präeklampsie, Frühgeburtlichkeit und Fehlgeburten[1]. Es kann daher von einem verminderten Risiko für nachteilige Geburtsoutcomes ausgegangen werden, wenn Frauen sich der Bedeutung von Ernährung und oraler Gesundheit in der Schwangerschaft bewusst sind. Dabei kann fachliche Unterstützung hinsichtlich der Ernährungsweise und Mundhygiene maßgeblich zu einer positiven Wahrnehmung der eigenen Kompetenz während der Schwangerschaft beitragen, wenn eine entsprechende Beratung von Seiten des Gesundheitspersonals erfolgt. Laut Mutterschafts-Richtlinien ist es in Deutschland Aufgabe der Hebammen und Frauenärzt:innen, Schwangere über Ernährung und Mundgesundheit aufzuklären, auch zum Zahnärzt:innenbesuch sollte geraten werden. Ziel dieser Arbeit ist, die Bedürfnisse und Wünsche von schwangeren Frauen hinsichtlich der interprofessionellen Zusammenarbeit und Aufklärung zu den Themen Ernährung und Mundgesundheit in der Schwangerschaft zu erfassen.
Methoden:
In dieser qualitativen Studie wurden in sechs Online-Fokusgruppen die Informationsquellen und Präferenzen hinsichtlich der Informationsversorgung von Schwangeren sowie der Bedarf an interprofessioneller Zusammenarbeit beteiligter Berufsgruppen erhoben. Zusätzlich wurden drei Expert:innen-Interviews durchgeführt, mit einer Hebamme, Gynäkologin und Zahnärztin. Die Fokusgruppen und Interviews werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz mit MAXQDA ausgewertet.
Ergebnisse und Diskussion:
Insgesamt nahmen 25 Schwangere aus sieben Bundesländern an den Fokusgruppen mit jeweils zwei bis sechs Schwangeren, sowie einem Einzelinterview auf Wunsch der Teilnehmerin, teil. Es wurden Schwangere in allen Trimestern in die Befragung eingeschlossen, welche eine Alterspanne von 23 bis 38 Jahren abdeckten. Es ergab sich ein heterogenes Bild bei der Ernährungsweise der Teilnehmerinnen, von omnivorer Ernährung, über pescetarisch bis hin zu vergetarisch oder vegan. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Frauen keine oder unzureichende Aufklärung zu Mundgesundheit in der Schwangerschaft erhalten haben und sich mehr Informationen von allen Fachgruppen wünschen, sowohl im mündlichen Gespräch als auch schriftlicher Form. Bei der Ernährungsberatung zeigt sich ein Bedarf für individuelle Aufklärung bezüglich Besonderheiten verschiedener Ernährungsformen während der Schwangerschaft. Interviews mit Expertinnen boten zusätzlich Einblicke in die Herangehensweise und die Rahmenbedingungen der beteiligten Berufsgruppen in der Beratung sowie deren Einschätzung zu der Bedeutsamkeit dieser Themen im Vergleich zu den geäußerten Wünschen und Bedürfnissen der befragten Frauen. Eine auf die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen angegasste Aufklärung zu Ernährung und Mundgesundheit in der Schwangerschaft sowie eine Implementierung dieser Themen in die Ausbildung beteiligter Berufsgruppen könnten zu einer verbesserten Versorgungslage von Schwangeren in Deutschland und damit zu einem verminderten Risiko für negative Schwangerschaftsoutcomes beitragen.
Hintergrund: Hebammen betreuen Frauen unter hohen Arbeitsbelastungen im klinischen und außerklinischen Setting. Diese beeinflussen die physische und psychische Gesundheit von Hebammen und können mit der Berufsaufgabe und Wechselabsicht des Arbeitsplatzes einhergehen [1-2]. Da Studierende der Hebammenwissenschaft in der Praxis unter ähnlichen Arbeitsbedingungen ausgebildet werden, weist diese Gruppe einen hohen Bedarf an Gesundheitsförderung während des Studiums und zum Arbeitsbeginn auf. Zudem ist die arbeitsbezogene Gesundheitskompetenz für Studierende im Hinblick auf ihre Rolle in der Versorgung, Prävention und Gesundheitsförderung von Frauen und jungen Familien relevant. Angesichts fehlender Studien zu der Thematik in Deutschland wird mit der „Healthy MidStudents“ Studie das Ziel verfolgt, eine Bestandsaufnahme des Gesundheitsverhaltens, der arbeitsbezogenen Gesundheitskompetenz, dem Stresserleben und der Bewältigungsstrategien von Studierenden der Hebammenwissenschaft in Norddeutschland durchzuführen.
Methode: Es wurde eine online-basierte Querschnittsstudie an neun Studienstandorten der Hebammenwissenschaft in Norddeutschland im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2022 durchgeführt. Der standardisierte Fragebogen besteht aus validierten Instrumenten zum Gesundheitsverhalten (MDS, FTND, AUDIT-C, IPAQ, PSQI), der arbeitsbezogenen Gesundheitskompetenz (OHLS), Stresserleben (PSS-10) und Bewältigungsstrategien (SCI) sowie selbst entwickelten Fragen zum Gesundheitsverhalten und Stresserleben in Lehre und Praxis, Einfluss der Covid-19 Pandemie auf das Studium, zur Vorbereitung auf die Berufsausübung und zu Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Die Analyse wird nach Abschluss der Datenerhebung ab Januar 2023 geplant.
Ergebnisse: Die Stichprobe (n = 186) (Stand 15.11.22) setzt sich aus Studierenden der Hebammenwissenschaft an neun Studienstandorten der Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zusammen. Erwartet werden signifikante Zusammenhänge zwischen der arbeitsbezogenen Gesundheitskompetenz und dem Gesundheitsverhalten sowie zwischen den Coping-Strategien und dem Stresserleben. Zudem wird erwartet, dass in den Praxisphasen im Vergleich zu den Lehrphasen das Gesundheitsverhalten ungesünder bewertet und das Stresserleben höher erlebt wird.
Zusammenfassung: Mit der ersten Bestandsaufnahme zum Gesundheitsverhalten von Studierenden der Hebammenwissenschaft in Deutschland werden Ressourcen und Defizite im Gesundheitsverhalten, der arbeitsbezogenen Gesundheitskompetenz, dem Stresserleben und Bewältigungsstrategien zukünftiger Hebammen identifiziert. Auf Basis der Ergebnisse können zielgruppenspezifische Implikationen zur gesundheitsfördernden Gestaltung der theoretischen Ausbildung an Hochschulen und praktischen Ausbildung im klinischen und außerklinischen Setting abgeleitet werden.
Förderliche und hemmende Faktoren für die Implentierung von Hebammenzentren in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen - eine Scoping-Studie
Hintergrund: Die Betreuung von Gebärenden in geburtshilflichen Einrichtungen ist eine anerkannte Strategie zur Senkung der globalen Mütter- und Säuglingssterblichkeitsrate. Allerdings wird aus Geburtskliniken im globalen Süden über eine übermedikalisierte Geburtshilfe und respektlose Betreuung der Gebärenden berichtet. Hebammengeleitete Zentren, die auf der Grundlage des „midwifery model of care“ arbeiten, haben sich als sichere, menschenzentrierte und kostengünstige Alternative für Gebärende mit einer low-risk Schwangerschaft erwiesen. Allerdings ist wenig über die hemmenden und förderlichen Faktoren bekannt, die ihrer erfolgreichen Implementierung und Funktionsweise in Ländern mit mittleren und niedrigem Einkommen (LMICs) entgegenstehen.
Ziel: Untersuchung der hemmenden und förderlichen Faktoren für die Implementierung und das Funktionieren von Hebammenzentren in LMICs
Methoden: Es wurde ein Scoping Review durchgeführt, um die verfügbare Forschung und graue Literatur zu erfassen und Forschungslücken zu identifizieren. Anhand der Ergebnisse wurden Themen entwickelt und als Grundlage für die Konsultation in Form von 10 qualitativen Interviews mit Schlüsselinformant*innen verwendet. Die Daten aus dem Literaturreview und den Expert*inneninterviews wurden thematisch analysiert und in einen SWOT-Analyserahmen eingeordnet.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 15 Literaturquellen einbezogen und 10 Interviews mit Schlüsselinformant*innen geführt. Aus dem Scoping Review und den qualitativen Interviews wurden vier Hauptkategorien und mehrere Unterkategorien für hemmende und förderliche Faktoren generiert, wobei die wichtigsten die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken sind, die mit Hilfe eines SWOT-Analyserahmens ermittelt wurden.
Diskussion: Die Implementierung von Hebammenzentren in LMICs kann nicht isoliert funktionieren. Der Erfolg der Implementierung hängt maßgeblich von einer unterstützenden Infrastruktur ab. Die Einrichtung qualitativ hochwertiger Hebammenzentren erfordert das Vorhandensein und die Einhaltung internationaler Standards, sowie Reformen in der Hebammenausbildung und Investitionen in das gesamte reproduktive Gesundheitssystem in LMICs.
Wichtige Schlussfolgerungen: Die Implementierung und Aufrechterhaltung von Hebammenzentren in LMIC wird durch interne Richtlinien und Standards, nachhaltige Finanzierungsmodelle, ein integratives Versorgungsmodell und eine enge Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssystem und der Gemeinschaft erleichtert. Das größte Hindernis für die Implementierung ist der Mangel an professionell ausgebildeten Hebammen*, die basierend auf dem „midwifery model of care“ arbeiten.
Auswirkungen auf die Praxis: Die Ergebnisse verdeutlichen den Bedarf an qualitativ hochwertig ausgebildeten Hebammen* und einer engen Zusammenarbeit zwischen geburtshilflichen Akteuren und Einrichtungen, um eine sichere und respektvolle Geburtshilfe in Hebammenzentren zu ermöglichen.
Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Die Forschung zeigt, dass Gesundheitskompetenz (GK), also die Fähigkeit Informationen finden, verstehen, bewerten und anwenden zu können, einen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und -outcomes hat. Da Allergien auch bei Kindern sehr häufig auftreten, erscheint eine GK-orientierte Beratung in den ersten Lebensjahren wichtig, damit Zielgruppen wie Eltern von kleinen Kindern sich angemessen mit der Vermeidung der Erkrankung befassen können. Hier können Hebammen eine wichtige Rolle spielen, da sie vielfach wichtige Ansprechpartnerinnen für werdende und junge Familien sind.
Fragestellung und Zielsetzung: Im Rahmen der DFG-geförderten Forschungsgruppe Helicap (FOR 2959, CU 438/1-1) wurde in dieser Studie untersucht, wie Hebammen in ihrer Beratung zum Thema frühkindliche Allergieprävention (FKAP) wissenschaftliche Evidenz vermitteln, wie sie die GK von Eltern während der Beratung berücksichtigen, und inwiefern sie GK-bezogene Informationsstrategien anwenden.
Methode: Zwischen Mai 2020 und März 2021 wurden 24 Interviews mit Hebammen in Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen telefonisch und persönlich geführt. Diese wurden aufgezeichnet, verbatim transkribiert, mit Atlas.ti codiert und inhaltsanalytisch nach Kuckartz (2012) ausgewertet.
Ergebnisse: Die befragten Hebammen sahen sich als wichtige Beraterinnen von Eltern, da es ihre Aufgabe ist, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Vermeidung von Allergien zu vermitteln. Auch wenn ihnen entsprechende aktuelle Empfehlungen meist bekannt waren, wurden diese kaum als eigenständiges Beratungsthema aufgefasst, sondern implizit im Gespräch mit Eltern über Ernährung (Stillen und Einführung von Beikost), Hygiene und der Vermeidung von Rauchen aufgegriffen. Eine Vertiefung fand nur dann statt, wenn es einen expliziten Bedarf dazu gab.
Das Konzept „Gesundheitskompetenz“ war den meisten Befragten eher unbekannt und wurde daher bei Eltern auch nicht systematisch erfasst, sondern häufig über den engen persönlichen Kontakt, Ausbildung und Beruf der Eltern und die wahrgenommene Wohnumgebung intuitiv bestimmt. Um die Beratung an Bedürfnisse und Vorwissen der Eltern anzupassen, gaben die Hebammen an eher implizite Strategien während des Gesprächs zu nutzen, etwa in dem sie Fachbegriffe vermeiden und eine ‚einfache‘ Sprache anwenden. Um zu überprüfen, ob Eltern die erhaltenen Empfehlungen verstehen und anwenden, nutzten die Befragten meist den häufigen Kontakt zu den Familien.
Die Interviewpartnerinnen bewerteten potenziell nützliche Beratungsstrategien wie teach-back (Informationen in eigenen Worten wiedergeben) eher kritisch, da dies eine Prüfungssituation darstellt und Eltern möglicherweise verunsichert. Auch schriftliche Informationen wurden oftmals nur zögerlich weitergegeben.
Zusammenfassung: Die Kenntnis über und damit auch die Einbeziehung elterlicher GK in die Beratung durch Hebammen erscheint wünschenswert, damit sie Eltern darin unterstützen können, Gesundheitsinformationen finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können. Wenn dies gelingt, kann auch ein Beitrag zur Verbesserung von Gesundheitsverhalten und gesundheitsbezogenen Outcomes geleistet werden.
An wen wendet sich dieser Vortrag?
Der Vortrag wendet sich an alle Hebammen gleichermaßen, die Interesse an oder bereits Erfahrungen mit den Angeboten der Frühen Hilfen haben. Er wendet sich an Hebammen die, freiberuflich oder angestellt, Teil des Angebots der Frühen Hilfen für junge Familien sind. Er wendet sich an Familienhebammen und auch Akteur*innen anderer Professionen rund um die präventive Unterstützung für Kinder und Eltern im ersten Lebensjahr.
Welche Forschungsfrage liegt zu Grunde?
Die präventiven Angebote und Leistungen der Frühen Hilfen orientieren sich an Niedrigschwelligkeit und Freiwilligkeit für ihre Adressat*innen. Natürlich gehen wir Akteur*innen in den Frühen Hilfen davon aus, dass unsere Angebote den Adressat*innen z.B. Unterstützung und Entlastung bei der Bewältigung ihres herausfordernden Familienalltags bieten. Aber woher wissen die jungen Familien von den Angeboten der Frühen Hilfen? Wie gestalten sich Zugangswege zu unseren Angeboten? Wo sind die Schnittstellen und Verbindungsknoten, die eine erfolgreiche Hinführung zu den Frühen Hilfen ermöglichen? Für die drei Frühe Hilfen Beratungsstellen der Hansestadt Lübeck habe ich aus 4 Jahren die erhobenen Daten ausgewertet. Ein Teilaspekt dieser Auswertung war, zu evaluieren, ob die intensiven Bemühungen um Vernetzung im Sektor Gesundheitswesen und Heilberufe sich auch in den Zahlen der Vermittlungen und Überleitungen wiederfinden lassen.
Welche Forschungsmethode wurde angewandt?
Um die konkreten Zugangswege der jungen Familien in die Angebote der Frühen Hilfen zu analysieren wurde ein quantitativ empirischer Ansatz gewählt. Die Datengrundlage wurde durch ein einrichtungsübergreifendes Statistikprogramm (Infohope) der AWO Schleswig-Holstein gewährleistet. Ausgewertet wurden die Angaben der Familien, durch wen sie die Information über oder die Vermittlung zu den Beratungsstellen erhalten haben. Das Zahlenmaterial wurde mit Text kommentiert und zur griffigen Anschaulichkeit in Grafiken dargestellt.
Welche Ergebnisse können aus der Datenlage abgeleitet werden?
Aus 968 in der EDV erfassten Neuanmeldungen in einem Zeitraum von 4 Jahren konnte ich bei 840 Datensätze eindeutige Rückschlüsse auf die Zugangswege zu den Frühen Hilfen ziehen. Es ließen sich 4 Personen- bzw. Berufsgruppen und Institutionen ausmachen, die die Informationen über Frühe Hilfen an die Familien übermittelten. Die Gruppe aus Verwandten/ Bekannten war dabei mit 4% signifikant kleiner als die drei Hauptgruppen der Vermittelnden. Das Jugendamt bzw. andere Einrichtungen der Jugendhilfe waren mit 27% am Zustandekommen eines Beratungs- und Hilfssettings beteiligt. Immerhin 33% der Familien fanden den Weg aus eigener Initiative. Aus dem Bereich Gesundheitswesen mit Hebammen kam mit 36% der größte Anteil der Kontaktaufnahmen zustande. Da der Forschungsschwerpunkt auf dem Bereich Gesundheitswesen/ Gesundheitsfachberufe lag, wurde diese Gruppe der Vermittler*innen weiter spezifiziert. Unterteilt wurde in Mitarbeitende in Psychiatrie und Psychotherapie, Mitarbeitende in Kinder+ u. Frauenarztpraxen u. Frauenkliniken sowie Gesundheitsamt und als dritter Teilbereich die freiberuflichen Hebammen. Von den 304 Familien, deren Zugang über den Sektor Gesundheitswesen nachweisbar war, wurden 161 – also über die Hälfte – durch freiberuflich Hebammen zur Kontaktaufnahme motiviert.
Zusammenfassung
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Arbeit der Frühen Hilfen ist ein frühzeitiger Zugang der jungen Familien. Insbesondere freiberufliche Hebammen können hier einen wertvollen Beitrag durch ihre fundierte Beratung leisten. Kontinuierliche Vernetzungsarbeit, Fortbildung und Qualifizierung für diese Berufsgruppe durch die Akteur*innen der Frühen Hilfen (z.B. durch Familienhebammen) gewährleisten das Bekanntwerden unserer Angebote dort, wo sie gebraucht werden – bei den jungen Familien.
Hintergrund (inkl. max. fünf Quellen)
Deutschland ist nur moderat stillfreundlich, dies ergab eine systematische Bestandsaufnahme von 2019 [1]. Aufbauend auf einer Referenzstudie [2] wurde eine Befragung zur Akzeptanz des Stillens in der Öffentlichkeit durchgeführt. Ziel der Befragung war es, Wahrnehmungen und Einstellungen zum öffentlichen Stillen im zeitlichen Vergleich zu erfassen. Zudem wurden u. a. Unterschiede zwischen der Allgemeinbevölkerung und Müttern von kleinen Kindern sowie zwischen Müttern mit unterschiedlichem Bildungsstand betrachtet.
Methoden
1.007 Personen ab 16 Jahren und 307 Mütter mit Kindern bis 24 Monaten wurden im Jahr 2020 online zum Thema Stillen in der Öffentlichkeit befragt. Ergebnisse wurden mit einer früheren Befragung aus 2016 verglichen.
Ergebnisse
2020 stillt ein größerer Anteil von Müttern an öffentlichen Orten als 2016, es wird seltener vermieden. Mütter mit niedrigerem Bildungsstand stillen seltener, auch in der Öffentlichkeit, und berichten häufiger von gemischten Reaktionen. In der Bevölkerung ist die Akzeptanz für das öffentliche Stillen gesunken, z. B. in der Gastronomie. Etwa jede bzw. jeder Sechste (17 %) lehnt das öffentliche Stillen explizit ab. Das Wissen über gesundheitliche Effekte des Stillens ist in der Allgemeinbevölkerung niedriger als bei Müttern. Wie 2016 geht Wissen über die positiven Effekte des Stillens mit einer größeren Akzeptanz von öffentlichem Stillen einher.
Diskussion
Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig Maßnahmen sind, die die Akzeptanz des Stillens steigern. Dazu zählt:
• der Bevölkerung Wissen zum Thema Stillen zu vermitteln,
• das Stillen in den Medien und auf Social Media häufiger zu zeigen sowie
• die Lebenswelten von Familien stillfreundlicher zu machen, etwa durch Information von Fachkräften und die Kennzeichnung besonders stillfreundlicher Orte.
Bei den Maßnahmen sind Frauen mit niedrigerem Bildungsstand besonders in den Blick zu nehmen [3-5].
Hebammen erleben als wichtige Ansprechpartnerinnen in der täglichen Arbeit mit Müttern, von welchen Erlebnissen diese im Alltag berichten, und haben die Chance, ihnen für das öffentliche Stillen den Rücken zu stärken. Der Beitrag liefert ihnen dafür Hintergrundwissen über aktuelle Einstellungen in der Bevölkerung und Erfahrungen junger Mütter und Argumente für die Stärkung des öffentlichen Stillens in ihrem Arbeitsalltag.
Zielsetzung:
In Deutschland beginnen 87% aller Mütter mit dem Stillen, allerdings stillen lediglich 68% der Mütter nach der Geburt ausschließlich. Bis zum Ende des vierten Monats sind es noch 40% und bis zum sechsten Monat 13% [1]. Das Stillverhalten wird durch eine Vielzahl an Faktoren auf individueller, sozialer und struktureller Ebene beeinflusst. Eine systematische Bestandsaufnahme zur Stillförderung stufte Deutschland 2019 als moderat stillfreundlich ein [2]. Dies zeigt, dass Maßnahmen erforderlich sind, um die Stillförderung unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen kurz-, mittel- und langfristig zu verbessern. Daher hat die Bundesregierung das Institut für Kinderernährung am Max Rubner-Institut mit der transdisziplinären Entwicklung einer Nationalen Strategie zur Stillförderung (NaSt) beauftragt.
Methoden:
Etwa 150 AkteurInnen mit interdisziplinären fachlichen Hintergründen haben in einem vom Institut für Kinderernährung koordinierten und moderierten partizipativen Prozess Maßnahmen zur Stillförderung in sieben Strategiefeldern (SF) erarbeitet: Evidenzbasierte Leitlinien, Aus-, Fort- und Weiterbildung, Präventions- und Versorgungsstrukturen, Kommunale Stillförderung, Stillen und Beruf, Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten und Systematisches Stillmonitoring.
Ergebnisse:
Die NaSt wurde im Juli 2021 vom Bundeskabinett beschlossen [3]. Die Koordinierung der Umsetzung der NaSt liegt beim Institut für Kinderernährung des Max Rubner-Instituts. Im SF Evidenzbasierte Leitlinien wird die medizinische S3-Leitlinie Stilldauer und Interventionen zur Stillförderung entwickelt. Auf der Basis dieser Inhalte sollen relevante Berufsgruppen in Aus-, Fort- und Weiterbildung notwendige Kenntnisse zum Stillen erhalten. Dafür werden Curricula analysiert und entsprechend der Leitlinieninhalte angepasst. Für das SF Systematisches Stillmonitoring wurde am Institut für Kinderernährung ein eigener Forschungsbereich etabliert. Weitere Maßnahmen betreffen eine stillfreundlichere Gestaltung von Rahmenbedingungen in Kommunen und im Arbeitsumfeld sowie Versorgungsstrukturen für niedrigschwellige und bedarfsgerechte Leistungen der Stillberatung, und nehmen die Vorschriften zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten in den Blick. Derzeit befinden sich die einzelnen SF in einem sukzessiven Aufbauprozess für die Umsetzung. Die Kommunikation der NaSt als Querschnittsaufgabe übernimmt das Netzwerk Gesund ins Leben im Bundeszentrum für Ernährung.
Zusammenfassung:
Die NaSt bildet die Basis für eine nachhaltige Verbesserung der Stillförderung in Deutschland. Sie soll durch die Maßnahmen aus den unterschiedlichen SF das Stillen in Deutschland kurz-, mittel- und langfristig fördern.